Bundestag entmachtet sich selbst

Der Bundestag hat sich mit dem heutigen Beschluss zur Bahnprivatisierung selbst entmachtet und dem Bundesunternehmen Deutsche Bahn AG eine Generalvollmacht ausgestellt, über öffentliches Vermögen in Höhe von zig Milliarden Euro zu verfügen, hat das Bündnis „Bahn für Alle“ kritisiert. „Wir freuen uns, dass mehrere SPD-Abgeordnete gegen diesen Privatisierungs-Murks gestimmt haben“, sagte Hendrik Auhagen, Bahn-Experte beim globalisierungskritischen Netwerk Attac, einem der 16 Träger des Bündnisses. „Bahn für Alle“ hatte zu Beginn dieser Woche alle Parlamentarier mit einem Brief aufgefordert, für den Verbleib der Bahn in öffentlicher Hand zu stimmen.

„Die Behauptung, die Infrastruktur bleibe zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes, ist unwahr“, erklärte Winfried Wolf von der Expertengruppe „Bürgerbahn statt Börsenbahn“, ebenfalls Träger des Bündnisses „Bahn für Alle“. „Die Infrastruktur bleibt integraler Bestandteil der dann teilprivatisierten Deutschen Bahn. Der Bund hat nur einen indirekten Zugriff auf die Infrastruktur.“ Bereits zuvor habe der Bund trotz seines alleinigen Eigentums an der DB AG nicht verhindert, dass das Schienennetz seit 1993 um 7000 Kilometer abgebaut wurde. „Wie soll der Bund im Fall einer teilprivatisierten Deutschen Bahn AG den fortgesetzten Netzabbau stoppen können?“, fragte Wolf.

Die DB AG will 20 Prozent der Anteile an ihrer Privatisierungs-AG an handverlesene Investoren verkaufen. Mit der russischen Staatsbahn haben sich die ersten Interessenten öffentlich aufgestellt. „Die spezifischen Interessen solcher Investoren können in Deutschland zu einem ähnlichen Desaster führen, wie wir es jüngst bei den Bahnprivatisierungen in Großbritannien (Pleite der privaten Infastrukturgesellschaft Railtrack 2001), in Litauen (Notwendigkeit zur sündhaft teuren Rückverstaatlichung der Eisenbahn 2006) und in Neuseeland (zweimalige Pleite der privaten Bahnanteilseigner 2003 und 2008 und Rückverstaatlichung der gesamten Bahn 2008) erlebt haben“, sagte Winfried Wolf.

„Der Bundestag verzichtet auf ein transparentes Gesetzesverfahren, überlässt Regierung und DB alle Details und hebelt so selbst die parlamentarische Demokratie aus“, erklärte Hendrik Auhagen von Attac. „Ohne Gesetz werden dem Bundeshaushalt gewaltige finanzielle Risiken aufgebürdet. Kein Abgeordneter weiß, wo am Ende die 15 Milliarden Schulden verbucht werden, die die schuldenfrei gestartete DB AG in den vergangenen Jahren auf die Infrastruktur aufgenommen hat.“ Dagegen könne der Bund nur mit geringen Einnahmen von kaum mehr als einer Milliarde Euro für das geplante Zukunftsprogramm rechnen.

Eine Mindestabsicherung wäre gewesen, das von den Bundesländern auf den Weg gebrachte Gesetz zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastrukturqualität und Fernverkehrsangebot zu diskutieren. „Mit ihrem Entwurf machen die Bundesländer deutlich, dass sie und die Menschen vor Ort von der Bahnprivatisierung negativ betroffen sind: durch Streckenstillegungen, Abbau von Fernverkehrsverbindungen und neue finanzielle Anforderungen“, sagte Winfried Wolf. Regeln für Fernverkehr und Infrastruktur seien seit der Gründung der DB AG 1994 fällig, mit einer Kapitalprivatisierung der DB AG überfällig.

„Jede Bahnprivatisierung ist Unsinn – mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind repräsentativen Umfragen zufolge für eine Bahn in öffentlicher Hand“, erinnerte Hendrik Auhagen. „Der Bundestag hätte diese Mehrheit der Vernunft nachvollziehen sollen statt einen Demokratieabbau zu vollziehen und korruptive Tendenzen wie den Wechsel des Transnet-Chefs Norbert Hansen ins DB-Management zu belohnen.“

„Bahn für Alle“ ist ein Bündnis von 16 Organisationen aus Globalisierungskritikern, Umweltorganisationen, politischen Jugendverbänden und Gewerkschaften und setzt sich ein für eine verbesserte Bahn in öffentlicher Hand. Träger des Bündnisses sind Attac, Bahn von unten, BUND, Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, Bürgerbahn statt Börsenbahn, Grüne Jugend, Grüne Liga, IG Metall, Jusos in der SPD, Linksjugend Solid, NaturFreunde Deutschlands, Robin Wood, Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, Umkehr, VCD Brandenburg und Verdi.

Für Rückfragen:

  • Winfried Wolf (Bürgerbahn statt Börsenbahn), Telefon 0177 / 67 24 43 77
  • Hendrik Auhagen (Attac), Telefon 0163 / 854 76 15