Verzettelte Aktionen: Europas Eisenbahner ohne Schlagkraft

von Hans-Gerd Öfinger

Europas Bahngewerkschaften sind noch uneins im Kampf gegen die Liberalisierung des Eisenbahnsektors. Die Spaltungen haben auch ideologische Gründe. Die Hafenarbeiter sind da weiter.

Dass die europäischen Bahngewerkschaften noch meilenweit von einer Bündelung der Kräfte gegen die von der EU vorangetriebene Liberalisierung und Privatisierung des Eisenbahnsektors entfernt sind, hat der jüngste »Aktionstag« der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF) am vergangenen Dienstag gezeigt.

So zogen in Lille europäische Bahngewerkschaften aus der ETF zu unterschiedlichen Zeiten vor dem Büro der Europäischen Eisenbahnagentur auf, um gegen die von EU-Richtlinien forcierte Privatisierung und drohende Verschlechterung von Sicherheitsstandards und Arbeitsbedingungen zu protestieren.

Als britische RMT-Mitglieder um elf Uhr in Lille aus dem Zug stiegen und mit Unterstützung von Delegationen aus Portugal, Ungarn, Italien, Spanien und anderswo ihre eindrucksvolle Kundgebung durchführten, waren viele ihrer französischen und belgischen Kollegen schon wieder abgereist. Vordergründige Ursache war ein Zwist zwischen der traditionell starken französischen CGT und der jungen Basisgewerkschaft SUDRail. Die CGT sträubt sich gegen eine Aufnahme der SUDRail in die ETF und wollte in Lille mit ihr keine gemeinsame Sache machen. Dabei ziehen Mitglieder beider Organisationen derzeit in regionalen Streiks im eigenen Land an einem Strang, um die Bahnchefs vom hohen Ross herunter und überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen.

Die Berührungsängste der CGT-Führung gegenüber SUDRail, immerhin die zweitstärkste Gewerkschaft bei der Staatsbahn SNCF, erinnern an frühere Zeiten. So wurde noch 1995 in der deutschen GdED (heute Transnet) peinlichst darauf geachtet, jeden Kontakt zur CGT zu unterbinden, weil diese damals noch als »kommunistisch« galt. Als sich GdED-Mitglieder mit dem wochenlangen französischen Eisenbahnerstreik solidarisieren wollten, wurde dies von GdED-Sekretären untersagt. Heute rühmt sich die Transnet-Führung ihrer guten Kontakte zur CGT.

Abgesehen von wenigen Basismitgliedern, die auf eigene Faust anreisten, glänzten die deutschen Bahngewerkschaften in Lille durch Abwesenheit. Stattdessen warben Transnet und GDBA am selben Tag an einigen deutschen Bahnhöfen in Flugblättern für einen Flächentarifvertrag Schiene. Von der privatisierungskritischen Linie des ETF-Aufrufs, der sich gegen Liberalisierung, Privatisierung und Zerschlagung und für den Erhalt integrierter öffentlicher Bahnen ausspricht, war in dem deutschen Flugblatt kein Wort zu lesen. Lokführer-Berufsgewerkschaften wie die GDL hielten sich ohnehin vom ETF-Aktionstag und einem internationalen Kampf gegen Privatisierung und Liberalisierung fern. Ihr Dachverband ALE »sagt nicht grundsätzlich Nein zur Liberalisierung«, so eine Erklärung.

Die Zurückhaltung der deutschen und einiger französischer Gewerkschaftsspitzen mag darin begründet sein, dass sie – anders als die Briten – nicht gegen das europaweite Expansionsstreben ihrer »eigenen« Bahnen DB und SNCF vorgehen wollen, weil sie sich als »Sozialpartner« eingebunden fühlen. Die Briten jedoch haben die DB nicht als freundlichen Partner, sondern als »Heuschrecke« erlebt, die sich überall einkaufen will und im Schienengüterverkehr auf der Insel einen Kahlschlag durchgeführt hat.

Dass europaweiter Widerstand auch durch die ETF möglich ist, haben vor einigen Jahren koordinierte Aktionen der Hafenarbeiter gegen die Liberalisierung der Arbeit in den Seehäfen gezeigt. Dabei gelang es, durch zentrale europaweite Demonstrationen und Streiks unter Respektierung nationaler Besonderheiten Druck auf EU-Gremien auszubauen und EU-Richtlinien wie das »Port Package« zu kippen. Wäre bei den großen Bahngewerkschaften der feste Wille vorhanden, dann ließe sich auch ein Weg finden.