Privatisierungskritische Eisenbahner fragen: Wurden auch wir im „System Mehdorn“ ausgeschnüffelt? Orwell lässt grüßen!

Die aktuelle Schnüffel-Affäre bei der Deutschen Bahn AG (DB) hat auch eine politische Dimension jenseits der Korruptionsbekämpfung. „Wurden auch wir ausgeschnüffelt?“, fragen Mitglieder der Gewerkschaft TRANSNET, die die privatisierungskritische Initiative Bahn von unten unterstützen. So kamen engagierte Eisenbahner bei einem aktuellen Erfahrungsaustausch am Wochenende zu der Schlussfolgerung, dass in den letzten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine politisch motivierte Beschnüffelung und Überwachung von Telefonaten und dienstlicher E-Mail-Korrespondenz im Konzern Deutsche Bahn stattgefunden hat.

Anhaltspunkte hierfür ergaben sich für die Betroffenen etwa aus Gesprächen mit Vorgesetzten und EDV-Spezialisten bei der Bahn. Gegner eines Börsengangs und der Expansionsstrategie des Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn wie auch Kritiker von Personalabbau- und Umstrukturierungsmaßnahmen würden im Konzern systematisch beargwöhnt und gälten für das Management als „unzuverlässig“. Entsprechende „dezente Hinweise“ erhielt nach eigenen Angaben auch der Betriebsratsvorsitzende und Bahn von unten-Mitbegründer Alfred Lange. „Seit Jahren sind die Kritiker von Bahnchef Mehdorns Börsenkurs im Visier des Bahnvorstands“, erklärt der ehemalige Bahn-Sicherheitsingenieur Hans-Dietrich Springhorn aus Hamburg: „Diese Beschnüffelung ist ein unglaublicher Skandal. Ich bin über 40 Jahre bei der Bahn und habe schon viel erlebt. So etwas habe ich in meinen schlechtesten Träumen nicht für möglich gehalten. Öffentlichkeit und Belegschaft müssen jetzt umfassend aufgeklärt werden“. Die „Salamitaktik“ des Bahnvorstands deute darauf hin, dass bisher nur die „Spitze des Eisbergs“ sichtbar sei. Im System Mehdorn handle das Management losgelöst von jeglicher Kontrolle wie ein „Staat im Staate“. Eine effektive Kontrolle durch Politik und Öffentlichkeit finde in der bundeseigenen DB seit Jahren nicht mehr statt, bemängelte Springhorn

Für die Initiative Bahn von unten ergeben sich aus der Schnüffel-Affäre mehrere Fragen:

1. Warum wurde ein großer Teil der Bahn-Mitarbeiter angeblich auf Korruption oder Vorteilsnahme überprüft, wenn doch bekannt ist, dass bei der Bahn nur ein relativ kleiner Personenkreis für Einkauf, Beschaffung und Vergaben zuständig ist? Schließlich haben die allermeisten Mitarbeiter andere Aufgaben und wickeln Tag für Tag rund um die Uhr Personen- und Güterverkehrsleistungen ab.

2. Wie konnten so viele Mitarbeiter mit einfachen und modernen Methoden telefonisch und EDV-mäßig überwacht werden, obwohl Lokführer, Zugbegleiter, Rangierarbeiter oder Handwerker in Werkstätten und im Gleisbau keinen warmen, witterungsgeschützten Büroarbeitsplatz haben und weder über einen Schreibtisch noch über persönlich zugeordnete Kommunikationsmittel verfügen?

3. Welche Rolle spielt in dieser Affäre die so genannte „Konzernsicherheit“? Es ist bekannt, dass dieser Bereich mit allen offenen und verdeckten Verästelungen in den letzten Jahren personell und materiell erheblich ausgebaut worden ist.

4. Haben der DB-Personalvorstand und frühere TRANSNET-Vorsitzende Norbert Hansen, der bis Mai 2008 als stellvertretender DB-Aufsichtsratsvorsitzender fungierte, und der DB-Konzernbetriebsratsvorsitzende Günter Kirchheim, Mitglied im DB-Aufsichtsrat, über die Beschnüffelung Bescheid gewusst?

Wenn der Beauftragte des DB-Vorstands für die Korruptionsbekämpfung, Wolfgang Schaupensteiner, nach Angaben des Magazins „Stern“ nur ein Viertel der Belegschaft für ehrlich halte, aber 75 Prozent zutraue, unter Umständen auch die eigene Firma zu hintergehen, dann sei dieser Generalverdacht unerträglich und habe der Vorstand damit das Vertrauen der Belegschaft endgültig verspielt, so Springhorn. Er verlangt Aufklärung darüber, ob diese Äußerung Schaupensteiners mit dem Bahnvorstand abgesprochen war. Alfred Lange: „Beschnüffelungen in dieser Größenordnung können nur als investigativer Angriff gegen politisch engagierte Eisenbahner, Gewerkschaftsmitglieder und Interessensvertretungen gewertet werden. Orwell lässt grüßen.“

Für Rückfragen:

  • Hans-Gerd Öfinger (Bahn von unten), Telefon 0173 / 652 84 18