Zwangsversteigerung – Wie die DB AG ihre Gewinne macht
Aktive der Berliner Gruppe von „Bahn für Alle“ unterstützen schon länger eine Blumenhändlerin in ihrem fast hoffnungslosen Kampf gegen die DB AG. Marina Godehardt besaß am S-Bahnhof Karlshorst einen Blumenladen. Wie in der DDR häufig, gehörte das Gebäude ihr, der Boden darunter nicht. Schon vor der Wende hatte Frau Godehardt die Fläche unbefristet von der Deutschen Reichsbahn gepachtet. Erst die Reichsbahn, dann die DB AG bzw. wechselnde Töchter des Konzerns erhöhten den Pachtpreis ins Unermessliche – bis Marina Godehardt nicht mehr zahlen konnte. Am 30. April 2008 wurde das Haus zwangsversteigert und erzielte 70 Prozent des Verkehrswerts. Der Erlös geht dann in die DB-Bilanz 2008 ein.
So macht die DB AG auch im Kleinen Gewinne. Über den Fall berichtete der „Spiegel“ in der Ausgabe vom 14. April, die RBB-Abendschau am 19. April.
Der RBB stellt in seinem Beitrag fest: „Die Bahn ist also juristisch im Recht, könnte jedoch moralisch handeln. Doch das Unternehmen bringt die Sache gnaden- und gewissenlos zum Ende.“
Nermin Safi-Schöppe, Klaus Ihlau und Carl Waßmuth bilanzieren nach der Zwangsversteigerung am 30. April den Fall:
DB AG gegen Blumenhändlerin
Der ungleiche Kampf einer Blumenhändlerin aus Karlshorst gegen den Konzern DB AG hatte vor einigen Monaten die Gründung der Initiative „Solidarität mit Marina Godehardt“ provoziert. Frau Godehardt hat seitdem viel Unterstützung und Ermutigung erhalten, auch und gerade von euch, also von Menschen, die nur über unsere e-mail-Listen von der Sache erfahren hatten
Als Soli-Initiative haben wir erreicht, dass erst die Berliner Woche, dann der Spiegel und zuletzt das Fernsehen (der rbb in einem 10-min-Beitrag) über den Fall berichteten. Parallel dazu wurden von uns zahlreiche Versuche unternommen, die DB AG oder die vertretungsberechtigte Anwaltskanzlei von Herrn MdB Dr. Danckert zu Verhandlungen zu bringen – vergeblich. Selbst als auf die Sendung im rbb hin eine Genossenschaft anbot, das Häuschen von Frau Godehardt zu kaufen, hielt die DB AG an ihrem Kurs der Zwangsversteigerung fest.
Am vergangenen Mittwoch fand die Zwangsversteigerung des Häuschens von Frau Godehardt statt. Als Soli-Initiative hatten wir eine Kundgebung angemeldet und Presse eingeladen. Der rbb war wieder da und berichtete abends. Von der ZDF-Sendung WISO war ebenfalls ein Kamerateam da, möglicherweise wird in der Sendung am Montag, den 5.5.2008, 19:25 h dort berichtet.
Die Zwangsversteigerung selbst konnten wir nicht abwenden. Alle „normalen Bieter“ waren offenbar durch unsere Vorinformationen abgeschreckt. Ein einzelner, mit der Kanzlei Danckert offenbar in Kontakt stehender Bieter zeigte sich von allem unbeeindruckt und erstand das Objekt zum Mindestgebot von 70 % des Verkehrswertes. In wieweit diese Angebot rechtsgültig ist, ist derzeit noch strittig. Wir als Personeninitiative sehen jedoch derzeit keine weiteren Handlungsmöglichkeiten.
Insgesamt würden wir den Fall wie folgt zusammenfassen:
- Vermutlich nicht geplant, aber dennoch mit fast tödlicher Konsequenz hat die DB AG die Existenz einer Blumenhändlerin zerstört.
- Fragen wie Schlichtung, Verhältnismäßigkeit der Mittel, regionale Verantwortung oder gesellschaftlicher Nutzen spielten zu keinem Zeitpunkt für die DB AG eine Rolle.
- Die Station und Service AG konnte einen Rechtstitel zu einem Grundstück erlangen, ohne belegen zu müssen, dass ihr das Grundstück gehört.
- Die Kanzlei des MdB Danckert ist als Auftragnehmer ein williger Vollstrecker dieser eigenwilligen Unternehmensstrategie der DB AG.
- Auch massive öffentliche Appelle prallen an der DB AG, dem sich zu 100 % in öffentlichem Eigentum befindlichen Unternehmen, vollkommen ab.
- Uns wurden im Zusammenhang mit den eingegangenen Solidaritätsadressen zwei Fälle von aktiver Repression seitens der DB AG gegenüber den Menschen bekannt, die sich solidarisch mit Frau Godehardt gezeigt hatten. Da in beiden Fällen derzeit Rechtsanwälte damit befasst sind, für die Betroffenen einen Rechtsschutz zu sichern, können wir die Details nicht bekannt geben. Intern sind sie jedoch unser deutlichstes Signal, wie emfindlich die DB AG sich getroffen fühlte – selbst von einfachen Solidaritätsschreiben.
Die Bahn auf Börsenkurs, die uns doch noch gehört, ist schon jetzt völlig entmenschlicht. Die DB AG agiert nicht nur vollständig wie ein privatwirtschaftlicher Konzern. Auch unsere Erfahrung mit dem Versuch eines zivilgesellschaftlichen Korretivs hat sich als völlig wirkungslos herausgestellt, trotz guter Unterstützung durch überregionale Medien. Seitens der Politik, die den Konzern eigentlich steuern sollte, gab es im Übrigen keinerlei Unterstützung. Wortgleich antworteten der Petitionsausschuss wie auch das Bundesverkehrsministerium auf unsere Bitte um Unterstützung: „Seit der Entlassung der Bundeseisenbahnen in die wirtschaftliche Unabhängigkeit als Aktiengesellschaft ist ein direktes Einwirken des Bundes auf unternehmerische Entscheidungen des Vorstandes der DB AG und seiner Konzerngesellschaften nicht mehr möglich. … In diese kann und will das Bundesministerium nicht eingreifen.“
Dass ein Bundestagsabgeordneter der SPD die DB AG in diesem Fall gerichtlich vertreten hat, scheint uns rückblickend nicht zufällig, sondern symptomatisch. Dass Einzelne von uns sich nun selbst gegen von der DB AG mittelbar oder unmittelbar in Gang gesetzten existenzangreifende Maßnahmen zur Wehr setzen müssen ist für uns die schockierenste Erkenntnis aus unserem Engagement. Der Tanker, der hier gerade einem Segelboot die Vorfahrt genommen und es dann überfahren hat, ist nicht nur nicht von seinem Kurs abzubringen, er schiesst auch noch zur Seite hin.
Die Zwangsversteigerung konnten wir nicht abwenden; dennoch hat unsere und eure Unterstützung Frau Godehardt viel Trost und Zuversicht gegeben.
Dafür danken euch in Namen von Frau Godehardt, stellvertretend für die Initiative:
Nermin Safi-Schöppe, Klaus Ihlau, Carl Waßmuth
P.S. Die Erfahrung, dass Menschen mit anderen solidarisch sind und sich für andere einsetzten, ohne selbst einen unmittelbaren Nutzen davon zu haben, hatte Frau Godehardt in dieser Form noch nie gemacht. So wurde ihr während eines Gespräches auch klar, dass es gut wäre, wenn sie Mitglied einer Gewerkschaft wäre und bei Streiks mitstreiken könnte, um eine Forderung gemeinsam mit anderen durchzusetzen. Vielleicht der Beginn eines „politischen“ Denkens einer Einzelkämpferin aus einem völlig unpolitischen Milieu?
Update Zwangsversteigerung
Im Vorfeld der Zwangsversteigerung scheiterten alle Bemühungen von Frau Godehardt und ihrem Anwalt Dr. Herrmann, die Bahn zu einem Vergleich zu bewegen, u.a. am Widerstand der Kanzlei von Dr. Danckert.
Auch das Angebot einer Genossenschaft an die DB, das Wohnhaus von Frau Godehardt für 86.000 Euro zu erwerben, damit diese weiter wohnen bleiben kann, lehnte die Bahn ab; sie bestand auf der Zwangsversteigerung, die am 30. April 2008 im AG Hohenschönhausen stattfand.
In der Zwangsversteigerung wurde ein Angebot von einem Bieter abgegeben, der offensichtlich mit den anwesenden DB-Mitarbeitern vertraut war – Höhe 70.000 Euro. Die Verkündung des Gerichtes über die Zuschlagserteilung fand am 20.8.2008.
Der Eilantrag des Anwaltes Dr. Herrmann vom 29.4.08, die Zwangsversteigerung zu verschieben, um andere Möglichkeiten der Einigung zu prüfen – u. a. auch das freihändige Angebot der Genossenschaft, das dem Gericht eingereicht wurde – wurde 4 Monate verschleppt. Am 20.8.08 erfuhr Herr Herrmann bei Gericht, dass sein Eilantrag abgelehnt worden sei. Die schriftliche Ablehnung des Eilantrages wäre postalisch zu ihm unterwegs.
Der einzige Bieter erhielt den Zuschlag für 70.000 Euro. Das Gericht lehnte das Angebot der Genossenschaft, das Wohnhaus Godehardts außerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens für 86.000 Euro zu erwerben, ab.
Herr Hermann wird sowohl gegen die Zuschlagserteilung des Gerichtes als auch gegen die Ablehnung seinens Eilantrages Beschwerde einlegen.
Der bisherige Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzungen, in denen Frau Godehardt immer unterlag, lässt nicht viel Hoffnung für sie. Sie wird demnächst nach Ihrem Geschäft wohl auch Ihre Wohnung verlieren und dennoch weiterhin Schuldnerin der Deutschen Bahn AG bleiben.
So leistet auch Frau Goderhard ihren kleinen Beitrag zur positiven Bilanz der DB AG.
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee antwortete auf mehrfache Bitten zur Vermittlung in diesem Konflikt wiederholt: „Seit der Entlassung der Bundeseisenbahnen in die wirtschaftliche Unabhängigkeit als Aktiengesellschaft ist ein direktes Eingreifen des Bundes auf unternehmerische Entscheidungen des Vorstandes der DB AG …. nicht mehr möglich. …. In diese kann und will das Bundesministerium nicht eingreifen.“
Wer Frau Godehardt unterstützen möchte, kann dieses vor Allem durch eine Spende tun: Damit könnte Ihr Anwalt Herr Dr. Herrmann weiterhin für sie tätig sein und noch mögliche juristische Möglichkeiten prüfen.
Gruppe „Solidarität mit Marina Godehardt“
vertreten durch Nermin Safi-Schöppe, Carl Waßmuth