Wer bezahlt für Stuttgart 21?
Gute Bahn statt Tunnelwahn: „S21 schluckt Geld, das in der Fläche fehlt“
Rede von Monika Lege, Bahn für Alle/Robin Wood
Guten Abend und herzlichen Dank an das Demo-Team für die Einladung.
Unser Bündnis Bahn für Alle streitet seit zehn Jahren für eine bessere Bahn in öffentlicher Hand. Robin Wood ist eine Umweltschutzorganisation und Teil von Bahn für Alle, denn Klimaschutz braucht eine gute Bahn für Alle. Eine gute Bahn ist eine faire Alternative zum eigenen Auto und transportiert Güter auf der Schiene. Eine gute Bahn betreibt Nachtzüge als Alternative zu innereuropäischen Flügen, denn Flugverkehr ist die am schnellsten wachsende Quelle von Treibhausgasemissionen.
Stuttgart 21 macht die Eisenbahn schlechter und kostet die Allgemeinheit Milliarden. Wem nützt das?
Am 16. Dezember tagt der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG. Im März 2013 hat der Aufsichtsrat 2,3 Milliarden Euro zusätzlich für Stuttgart 21 durchgewinkt. Von der gesetzlich vorgeschriebenen Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat ist bei der Konstruktion einer bundeseigenen Aktiengesellschaft Deutsche Bahn wenig zu merken. Was steht im Dezember an?
Der Vorstand wird dem Aufsichtsrat ein Konzept zum Verkauf von Teilen des bundeseigenen Konzerns vorlegen.
Denn angeblich braucht der Konzern „frisches Geld“. Jede und jeder kann doch sehen und – im wahrsten Sinne des Wortes – erfahren, wie marode Schienen, Bahnhöfe und Züge sind. Das ist der „Investitionsstau“. Wann immer Grube Geld will, geht es um bröselnde Brücken, quietschende Weichen, schreddelige Waggons, abgeranzte Bahnhöfe. Klar braucht die Eisenbahn „fresh money“, und dafür will Grube „private Investoren hereinholen“.
„Fresh Money“ klingt lecker nach Pfefferminze und Aufbruch – ganz anders als „faule Kredite“, „Altschulden“ [1] oder „Ausverkauf“. „Private Investoren hereinholen“ – das hört sich einladend an. Schaut doch mal rein.
Aber es ist andersrum: Wenn die Zinsen niedrig sind – so wie jetzt – , ist sehr viel Geld im Umlauf, für das Banken und Versicherungen Gewinn bringende Anlagen suchen. Gern klopfen diese „institutionellen Anleger“ auch bei der DB AG an.
Das Brutto-Anlagevermögen der DB AG allein an Verkehrswegen – also das Eisenbahnablevermögen – beziffert das Bundesverkehrsministerium für 2010 mit 190 Milliarden Euro. Das ist eine 19 mit 10 Nullen dahinter [2].
Dies Anlagevermögen ist aus Mitteln der Allgemeinheit bezahlt, es ist Allgemeingut. Es gehört „Allen“, so wie die bundeseigene Deutsche Bahn AG noch „Allen“ gehört.
Vor kurzem hat sich zum siebten Mal der Stopp des Börsengangs der DB AG gejährt [3]. Damals hat das Bundesfinanzministerium hochgerechnet für ein Eisenbahnanlagevermögen von 183 Milliarden Euro einen Kapitalzufluss von 13 Milliarden Euro erwartet [4]. Das ist ein Gegenwert nach Veräußerung von gerade mal 7,1 Prozent [5].
Dann kam die Lehman-Pleite. Die vier Konsortialbanken für die Ausgabe der DB-Aktien an der Börse standen im Zentrum der größten Finanzkrise seit 1929 [6]. Politisch war es für die Große Koalition und Kanzlerin Merkel nicht mehr tragbar, das sichere öffentliche Anlagevermögen Bahn von diesen Banken in zweifelhafte Wertpapiere umwandeln zu lassen. Der Börsengang wurde „verschoben“.
Stuttgart 21 ist zu einem kleinen Teil auch Spätfolge dieses wahnwitzigen Projektes, denn im Sommer 2007 [7] bekam Oettinger als Baden-württembergischer Ministerpräsident die Finanzierungszusage der DB AG für Stuttgart 21. Anschließend [8] änderte er seine Meinung zum Bahnbörsengang und erklärte, im Bundesrat für die Privatisierung zu stimmen.
Die Deutsche Bahn beging ihren siebten Jahrestag des Nicht-Börsenganges mit der Ausgabe von Anleihen über fast 500 Millionen Euro. So verlieh sie ihrer Dauer-Botschaft Nachdruck: Die Bahn braucht frisches Geld.
Frisches Geld kann sie über Anleihen bekommen. Am einfachsten bekäme sie frisches Geld, wenn sie etwas verkauft, was kein Mensch für den Schienenverkehr in Deutschland braucht. Zum Beispiel das europaweite Busunternehmen Arriva [9].
Und tatsächlich will Grube dem Aufsichtsrat am 16. Dezember ein Konzept für einen TEILverkauf von Arriva sowie Schenker Logistics zur Entscheidung vorlegen [10].
Auf den ersten Blick ist das eine gute Nachricht, denn Busse, Laster, Containerschiffe und Frachtflugzeuge in aller Welt nützen der Eisenbahn in Deutschland nichts.
„Der Börsengang ist vom Tisch“, auch das ist eine gute Nachricht. Entscheidend für die Zukunft der Bahn wird aber sein, WIE der Verkauf von Konzernteilen erfolgt.
Grube sucht einen „strategischen Investor oder Pensionsfonds“, um privates Kapital in den Konzern hinein zu holen. Die Mehrheit an Arriva und Schenker Logistics soll der Konzern aber behalten. Grubes vorrangiges Ziel ist nicht, bahnfremde Sparten zu verkaufen und Geld für die Eisenbahn in Deutschland zu erlösen. Vorrangig ist, eine Tür für den Einstieg privater Anleger bei der Bahn zu öffnen.
Dabei sind Arriva und Schenker logistics keine bahnfremden Peanuts in einem ansonsten auf Eisenbahnverkehr in Deutschland ausgerichteten Unternehmen. Im letzten Geschäftsjahr machten die beiden Töchter mehr als die Hälfte vom Konzernumsatz. Entsprechend einflussreich wären zukünftige Teilhaber.
Im Gegensatz dazu machen mehr als 70 Prozent vom Gewinn der DB die inländische Schieneninfrastruktur und der Nahverkehr [11]. Unwiderstehlich für jeden „Investor“, an dieser wundersamen Verwandlung teilzuhaben und Anleger bei der DB zu werden.
Stuttgart 21 ist ein Abbau von Eisenbahninfrastruktur. Das wissen Sie hier alle. Stuttgart 21 ist ein Nicht-Bahn-Projekt. Es geht um Immobilien und Spekulation, es geht nicht um einen funktionierenden Bahnhof.
Sie alle wissen auch, dass Ronald Pofalla eine zentrale Rolle für die Fortsetzung dieses Wahnsinns gespielt hat. Als Merkels rechte Hand hat er für die Zustimmung des Aufsichtsrates zur Kostensteigerung gesorgt. Heute ist er im Vorstand der DB AG und ausgerechnet für „Compliance“ zuständig, für „Regeltreue“.
Pofalla hat das Zeug zu Grubes Kronprinz [12]. Wie jeder anständige Prinz muss er zuvor einige Prüfungen bestehen. Die erste hat er mit seinem S21-Einsatz hinter sich. Bei der zweiten geht es um die Regionalisierungsmittel. Das ist „Staatsknete“, mit denen die Bundesländer den von ihnen bestellten öffentlichen Verkehr bezahlen. Sie macht den Großteil des Gewinns der Nahverkehrssparte DB Regio aus.
Im März hat die DB die „größte Fernverkehrsoffensive in ihrer Geschichte“ herausposaunt. Offensiv ist daran nur, dass die DB die bisher dem Nahverkehr vorbehaltenen Regionalisierungsmittel für den Schienenfernverkehr anzapfen will. Pofalla soll Mischverkehre aus Nah- und Fernverkehr mit den Ländern aushandeln. Also: Das für Regeltreue zuständige Vorstandsmitglied eines bundeseigenen Unternehmens soll erstens Zuschüsse des Bundes an die Länder für die DB absahnen und zweitens Ausschreibungen von Nahverkehrsleistungen erschweren.
Der Vorstand der Deutschen Bahn macht Politik gegen die Schiene, gegen eine gute Eisenbahn. Das zeigt sich hier in Stuttgart mit aller Macht. Das zeigen aber auch die Abschaffung der Nachtzüge, der Abbau von Sitzplatzkontingenten, das Kaputtsparen der Güterbahn, die hohen „Normalpreise“ und der vernunftfreie Tarifdschungel.
Stuttgart 21 macht die Eisenbahn schlechter und kostet die Allgemeinheit Milliarden. Wem nützt das?
Stuttgart 21, die „Hereinnahme von Investoren“ und umgangene Ausschreibungen ziehen öffentliche Mittel für die Eisenbahn in Deutschland ab. Die Strategie des DB-Vorstandes ist eine Umverteilung öffentlicher Mittel für die Eisenbahn in private Gewinne.
Am 28. November fahren Rüdiger Grube und Reinhard Pofalla mit der deutschen Regierungsdelegation zum Klimagipfel nach Paris. Wir brauchen keinen exklusiven Sonderzug, sondern ein gut getaktetes Netz in der Fläche und reguläre Nachtzüge für lange Strecken.
Sagen wir dem DB-Vorstand am 16. Dezember vor Beginn der Märchenstunde vom frischen Geld für tolle Züge, Weichen und Bahnhöfe, dass der Kaiser nackt ist. Wir wollen keine Privatisierung durch die Hintertür, und wir wollen die Offenlegung der wahren Kosten von Stuttgart 21.
Klimaschutz braucht eine gute Bahn für Alle. Bleiben Sie oben.
Monika Lege, Verkehrsreferentin Robin Wood e.V., Bündnis Bahn für Alle
Anmerkungen:
1 – 2015: 20 Mrd €
2 – Falls Ihnen solche Summen ähnlich schwer vorstellbar sind wie mir: 2 Billionen = 2 hoch 12 > 188 Milliarden 225 Millionen Euro 188.225.000.000 €; Quelle VIZ 2011/12, S.38
3 – 9. Oktober 2008
4 – 3,25 Mrd € für 25 %
5 – 100*13/183
6 – Morgan Stanley NY, UBS Zürich, Goldman Sachs NY, Deutsche Bank Ffm
7 – 19. Juli
8 – 25. Juli
9 – Kauf 2010 für 2,8 Mrd
10 – Schenker Logistics, nicht Schenker Railion = Schienengüterverkehr in Dtl
11 – DB Netz, DB Service und Station, DB Regio
12 – Spiegel 11.7.2015