Trauer um Hans-Gerd Öfinger und Gangolf Stocker

Hans-Gerd Öfinger, Mitbegründer von Bahn für Alle, ist überraschend in der Nacht zum Freitag, den 26. März 2021, gestorben. Er wurde 65 Jahre alt. Die Aktiven von Bahn für Alle trauern um ihren Mitstreiter:

Ein Nachruf von Carl Waßmuth

Lieber Hans-Gerd,

ich habe Dich auf einer Demonstration am 10. November 2006  in Hamburg zum ersten Mal getroffen. Du hast eine Eisenbahnermütze getragen und eine kämpferische Rede gegen die Bahnprivatisierung gehalten. Deine klare Sprache und Deine konsequente Haltung auf Seiten der Beschäftigten hat mich beeindruckt. Du hast auf die Lehren aus den  Börsengängen von Post und Telekom verwiesen: Zerschlagung, Ausgliederung und Lohndrückerei. Später erfuhr ich, dass Du bereits im Jahr 2000 die Gruppe Bahn von unten mitbegründet hattest. Diese Gruppe war eines der ersten Bündnis-Mitglieder von Bahn für Alle.

Von da an hatten wir viel miteinander zu tun. Beeindruckt hat mich dabei auch stets Dein internationaler Blick. Du warst sprachbegabt und in viele Länder vernetzt. Wir bei Bahn für Alle haben immer wieder die Auslandsaktivitäten der Deutschen Bahn AG kritisiert, mit der sich der Konzern als Global Player aufspielte. Und oft haben wir gefordert, dass diese Beteiligungen abgestoßen werden, so auch jetzt wieder im Alternativen Geschäftsbericht von vergangener Woche. Du bist nicht müde darin geworden, auf die Belegschaften in den anderen Ländern hinzuweisen: Denen ist es genauso wenig egal, wer neuer Eigentümer wird wie uns bei unserer Bahn. Einfach verkaufen, und sei es an BlackRock, kommt für diese Menschen nicht in Frage. Wir sind Dir stets gefolgt und forderten daher damals wie heute, dass das Auslandsgeschäft weder ganz noch teilweise in private Hände gegeben werden darf. Bezogen auf die Gesellschaft Arriva sollten die zu veräußernden Töchter ausschließlich den jeweiligen Staaten, Gebietskörperschaften oder Kommunen zum Kauf angeboten werden.

Auf dem Bundesparteitag der Linken warst Du immer wieder als Delegierter vertreten und hast das Wort ergriffen, zum Beispiel 2017 gegen die Autobahnprivatisierung.  Auch dieses Jahr, 2021, wolltest Du sprechen, aber die Parteitagsregie hat es verhindert: „Die Parteitage werden kürzer, Einspieler und Infotainment immer länger“, hast Du mir dazu geschrieben. Deinen Beitrag hast Du zu Protokoll gegeben, anbei ein Auszug aus der Fassung, die Du an mich geschickt hast:

„Das heutige Motto lautet: Wir wollen das gerechter machen. Zu Recht wurden hier der DGB, ‚Deutsche Wohnen enteignen‘ und Fridays for Future eingeladen. Wir sollten aber auch zwei weitere Gruppen einladen: 1. Die Initiative gegen die Zerschlagung der S-Bahn Berlin. 2. Die engagierte Belegschaft des Verlags Neues Deutschland. Ich sage das auch aus persönlicher Betroffenheit.

Ich habe als Delegierter mehrfach Anträge eingebracht, die beschlossen wurden; gegen jede Form von Privatisierung und Zerschlagung der Bahn. Das war und ist unser Alleinstellungsmerkmal. Dabei muss es bleiben. Doch nun leitet ein rot-rot-grüner Senat bei der Berliner S-Bahn eine Megaprivatisierung und Zerschlagung ein. Acht Milliarden Euro versprechen fette Profite. Margaret Thatcher würde sich freuen.

Stoppt den Wahnsinn – Schulterschluss mit den Beschäftigten und Privatisierungsgegnern.“

Noch einen Tag vor Deinem Tod hast Du im neuen deutschland über unsere Pressekonferenz berichtet:

„Infrastrukturbetriebe sollen [nach einem Papier der Grünen-Bundestagsfraktion] losgelöst und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden, die sich aus staatlichen Geldern speist. Die DB-Töchter für Personen- und Güterverkehr sollen hingegen als GmbH operieren, was eine Privatisierung erleichtern würde. Gefördert durch öffentliche Fahrzeugpools, sollen im Fernverkehr private Kapitalgruppen zum Zuge kommen. Dies würde auf Zustände wie in Großbritannien hinauslaufen. Dort liegt das defizitäre Netz in öffentlicher Trägerschaft, während die Filetstücke in Transport und Servicebereich von privaten Konzernen kontrolliert werden. Mit einer möglichen schwarz-grünen Bundesregierung, mit oder ohne die FDP, rückt ein derartiger ernsthafter Vorstoß Richtung Filetierung, Fragmentierung und Privatisierung näher.“

Hans-Gerd, einen wie Dich bekommen wir nicht wieder. Ich bin froh, Dich gekannt zu haben, und sehr traurig, dass wir Dich schon verloren haben. Wir werden das Andenken an Dich hoch halten, aber wie viel lieber hätten wir Dich weiter unter uns gehabt!  Wir denken an Deine Familie, die nun ohne Dich leben muss.


Gangolf Stocker war einer der prominenten Stuttgart-21-Gegner. Er starb 26. März 2021 im Alter von 76 Jahren nach langer Krankheit.
Die  Bahnfachleute-Gruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn, Bündnismitglied von Bahn für Alle, trauert um ihren Mitstreiter:

Am 26. März 2021 ist Gangolf Stocker gestorben. Trotz starker gesundheitlicher Einschränkungen ist er bis zuletzt ein aufrechter, kritischer Geist geblieben. Vielleicht hatte ihn auch der Kampf gegen das Monsterprojekt Stuttgart 21 zu viel gesundheitliche Kraft gekostet. Denn von Anfang an gehörte er zu den profiliertesten und aktivsten Gegnern des Projekts. Besonders umgetrieben hat ihn in der Anfangsphase das Thema Stuttgarter Mineralbrunnen und die Gefahren, die für die Mineralquellen vom Tunnelprojekt ausgingen.

Aber Gangolf Stocker hat sich auch in die kommunalpolitischen und bahnpolitischen Aspekte des Projekts reingekniet. Er war frühes Mitglied des Bündnisses Bürgerbahn statt Börsenbahn, das aus Protest gegen die Börsenpläne des damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn und dessen Vernichtungsfeldzug gegen die Zuggattung InterRegio gegründet wurde. Die dort versammelten Bahnexperten, darunter auch ehemalige Bahnmanager, haben seine Detailkenntnis von den lokalen und regionalen Bahnplanungen in und rund um Stuttgart und den dort zu findenden kritischen Punkten immer sehr geschätzt.

Gangolf hat maßgeblich dafür gesorgt, dass das Bündnis sich von Anfang an sehr dezidiert mit Stuttgart 21 befasst hat. Schon 2007 initiierte er eine Pressekonferenz, in der wir gemeinsam das Projekt als Sargnagel einer konstruktiven und zukunftsorientierten Bahnentwicklung gebrandmarkt haben.

Als geschickter Organisator hat Gangolf Stocker zusammen mit Freunden im Stuttgarter Gemeinderat eine eigene Gruppierung „Stuttgart – Ökologisch  Sozial – SÖS“ aufgebaut, die dann auch den Weg in den Gemeindeart schaffte und sich dort engagiert an den Themen einer Verkehrswende und neuen Wohnungspolitik abgearbeitet hat. So wurde er zum unermüdlichen Netzwerker in Stuttgart.  Zusammen mit den Gruppen Bürgerbahn statt Börsenbahn und Bahn für Alle hat er zwei große bahnpolitische Konferenzen in Stuttgart zum Thema Stuttgart 21 organisiert. Dazu war er Initiator und Mitorganisator der Stuttgarter Montagsdemonstrationen –  einer in dieser Frequenz, Dauer und Beteiligung weltweit einmaligen Serie von über 550 Veranstaltungen.

In den letzten Jahren war Gangolf Stocker leider nicht nur gesundheitlich angegriffen, sondern er wurde auch zunehmend bitter über die Hartnäckigkeit, mit der Regierungssystem und Bahnmanagement alle „Umstiegssignale“ übersehen haben und stur an der Umsetzung ihrer zerstörerischen Pläne festhielten, obwohl es gute Alternativen gab, an deren Entwicklung Gangolf Stocker vor allem in der Frühphase beteiligt war.

Bei allen Schicksalsschlägen und Enttäuschungen fand Gangolf Stocker immer wieder in die Kunst: Seine Bilder spiegeln tiefe Erlebnisse — wie gut, dass er zum Schluss seines Lebensweges seine Werke noch einige Male zeigen konnte, so offensichtlich mit einer Vernissage in Böblingen, an der er selbst teilnahm.

Nach vielen gemeinsamen Tagungen und Treffen in Berlin, Bonn, Fulda, Herrenalb, Kassel, Lindau, Mannheim, Schorndorf und Stuttgart werden wir in unserer weiteren Arbeit an einer zukunftsfähigen Bahnpolitik die Mitarbeit von Gangolf Stocker schmerzlich vermissen.

Mitglieder bei Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) sind: Prof. Karl-Dieter Bodack  (Gröbenzell) / Thilo  Böhmer (Rodgau) / Dr. Christoph Engelhardt (Garching / München) / Klaus Gietinger (Saarbrücken) / Eberhard Happe (Celle) / Joachim Holstein (Hamburg) / Johannes Hauber (Mannheim) / Prof. Wolfgang  Hesse (München) / Andreas Kegreiß (Stuttgart) / Andreas Kleber (Schorndorf) / Dr. Bernhard  Knierim (Werder/Havel) / Karl-Heinz Ludewig (Berlin) / Thomas Kraft (Lahnau) / Prof. Heiner Monheim (Malente) / Dr. Winfried Wolf (Michendorf)

Erinnerungen an Gangolf Stocker von Andreas Kleber:

Auch ich traure um einen alten Freund, der sich um die Sache der Eisenbahn so verdient gemacht hat. Und füge unserer gemeinsamen Erklärung als Bürgerbahn statt Börsenbahn noch eine persönliche Erinnerung an.

Am Freitag, 16. Februar 2001, trafen wir: Gangolf Stocker, Johannes Hauber (Mannheim) und ich uns in Villingen (Schwarzwald), um tagsüber auf den  noch verkehrenden IR-Zügen (unter anderem dem IR „Lüneburger Heide“, „Schwarzwald“ und „Mainau“) unsere Faltblätter gegen die Einstellung dieser Zuggattung zu verteilen. Das Faltblatt, gehalten in der blauen IR-Farbe, hatte die Überschrift „Ihr Interregio nach Nirgendwo“.

Trotz unsrer verschiedenen politischen Standpunkte hatten wir zwei Dinge gemeinsam: Beide waren wir frankophil, gegen Murk-S 21 und für eine bessere Bahn.

Von seinem Talent als Kunstmaler erfuhr ich an einem Sonntagmittag im Mai oder Juni 2005, als ihn seine Tochter zum Mittagessen in unser Hotel einlud.  Nach dem Mittagservice saßen wir noch bei einem 2001 Château Laulerie Bergerac zusammen, wo ich von ihm mehr als nur über Eisenbahn erfuhr, unter anderemvon einer Ausstellung seiner Gemälde in Tübingen. Und über seine Erinnerungen an die Grande Nation, die ihn so prägten.

Der Widerstand gegen Stuttgart 21 hat ihn weit übers „Ländle“ bekannt gemacht. Das wichtigste aber war, wie er stets betonte, dass die Proteste stets friedlich verliefen. In Zusammenarbeit mit der Polizei und dem zuständigen Ämtern. Alle Demos in dieser Zeit verliefen doch ohne Zwischenfälle …

Könnten sich da nicht andere Demos hierzulande auch ein Beispiel nehmen? Nach Adolf-Heinrich von Arnim, Peter Conradi und Jürgen Rochlitz ist er jetzt mit 76 Jahren von uns gegangen.

Erinnerungen an Gangolf Stocker von Winfried Wolf (Auszug aus der Montags-Demo-Rede von WW am 29. März 2021):

Es war im November 1995. Im Clara-Zetkin-Haus Waldheim Stuttgart stellte ich das erste Buch zu S21 überhaupt vor: „Stuttgart 21 – Hauptbahnhof im Untergrund?“. Moderator war Gangolf Stocker. Zwei Wochen später, am 30. November  1995, gründete er „Leben in Stuttgart – kein Stuttgart 21“.

Es war im Januar 2000. In Berlin gründeten wir die Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB). Mit dabei: Gangolf Stocker. Seither waren BsB-Aktive weit mehr als 100 Mal in Stuttgart vor Ort mit Vorträgen, Diskussionen, Gutachten, auf Demos und Kundgebungen als Redner aktiv. Bis zum Jahr 2011 oft von Gangolf nach Stuttgart geholt und moderiert.

Es waren die Jahre 2005 bis 2008. Das Bündnis Bahn für Alle führte eine – am Ende erfolgreiche – Kampagne gegen den Bahnbörsengang durch. Gangolf Stocker und „seine“ BI waren Teil des Bündnisses.

Diese Stationen waren wesentlich für den S21-Widerstand. Die zentrale Figur in ihr und im Zeitraum 1995 bis 2012 war Gangolf. Solange er hier aktiv war, sah er den S21-Widerstand  in dem Zusammenhang von Bahnprivatisierung und Immobilienspekulation. Dass er sich in den letzten Jahren aus der Bewegung verbittert zurückzog, könnte ein abgeklärter Gangolf kommentieren mit: „s´menschelt halt“.

Wir haben einen Kämpfer und Freund verloren.