SEV – wie Millionen von Bahnreisenden zurück ins Auto „geprügelt“ werden

Ein Beitrag von Hendrik Auhagen

Nächtliches Warten auf den Schienenersatzverkehr (SEV) – ohne klare Information, vor Andrang berstende Ersatzbusse mit Fahrern ohne Ortskenntnisse, gefährlich überfüllte Bahnsteige an kleinen Unterwegsbahnhöfen, an denen Züge enden und wieder zurückfahren. Das sind keine Ausnahmen, sondern geschieht fast täglich. Nicht nur aufgrund plötzlicher Störungen, sondern auch bei langfristig geplanten Baumaßnahmen. Dass Ersatzmaßnahmen so nicht ablaufen müssen, zeigt die ganz andere Praxis in der Schweiz.

Ökologen sind sich einig: Die Zahl der Autos – egal welchen Antriebs –  muss stark sinken. Wenn Menschen aber auf ein eigenes Auto verzichten sollen, müssen sie sich auf die Alternative Bahn verlassen können. Bei der Deutschen Bahn können sie das nicht. Völlig unzumutbare bis sogar gefährliche Begleiterscheinungen von Streckensperrungen sind nicht die seltene unglückliche Ausnahme, sondern die geplante Regel. Oft ohne jede Transparenz werden Strecken und Bahnhöfe komplett gesperrt – wie gerade kürzlich drei Tage lang der Großstadtbahnhof von Halle – wegen elektronischer Überprüfungen und des Anschlusses von zwei Randgleisen. Vorhandene andere Bahnhöfe im Stadtgebiet wurden nicht genutzt, sondern zum vierten Mal innerhalb von zehn Jahren wurde der Personenverkehr vollkommen auf Busse verlagert, mit stundenlangen Verzögerungen der Fahrten und Unsicherheit, was die Mitnahme angeht.

Die Bodenseeregion sollte 2020 ursprünglich das ganze Sommerhalbjahr vom durchgehenden Bahnverkehr abgehängt werden – durch gleich drei Baumaßnahmen auf parallelen Strecken. Das wurde zwar dann doch abgesagt – dafür gab es im Corona-Jahr drei mehrwöchige Sperrungen, die täglich zehntausende PendlerInnen zu zweimaligem Umsteigen auf Ersatzbusse zwangen. Das Verkehrswende-Bündnis Konstanz hat daher zusammen mit dem Grünen-Kreisverband folgende vier Forderungen für den Schienenersatzverkehr aufgestellt, und zwar für überall:

  1. Ersatzverbindungen auf der Schiene müssen Vorrang vor Busverkehr haben. Das heißt: Wo irgend möglich muss die großräumige Umfahrung von gesperrten Strecken auf der Schiene ernsthaft geprüft und zum Preis der gesperrten Normalverbindung angeboten werden.
  2. Wenn unumgänglich, dann muss der SEV, also der Busverkehr, hochqualitativ erfolgen! Das heißt, insbesondere in Stoßzeiten mit parallel verkehrenden Bussen sowohl im schnellen Direktverkehr als auch mit Station-für-Station abfahrenden Bussen. Selbstverständlich muss dabei auch die Feinverteilung per Taxi eingeplant werden.
  3. Es muss eine Institution mit konkreten Ansprechpartnern und Finanzmitteln existieren, die die Verantwortung für komfortable Ersatzmaßnahmen übernimmt. Also kein nächtliches Stehenlassen von Fahrgästen, weil der Ersatzbus einfach nicht mehr auf den Zug gewartet hat. Kein Sich-Verstecken von Zugbegleitern vor den Fahrgästen bei Pannen. Stattdessen immer bekannte und besetzte Telefonanschlüsse sowie verantwortliche BegleiterInnen der umsteigenden Fahrgäste, die dafür sorgen, dass auch Menschen mit Bewegungseinschränkungen ohne Panik den Umstieg schaffen.
  4. Gemeinsam mit den betroffenen Kommunen müssen Maßnahmepläne rechtzeitig diskutiert und beschlossen werden. Weder die Kommunen noch die Öffentlichkeit dürfen vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern die Ersatzmaßnahmen müssen einvernehmlich – unter Beteiligung der Betroffenen – geplant werden. Öffentlicher Verkehr beinhaltet logisch auch Transparenz – und nicht rücksichtslose Von-oben-herab-Verordnungen.

Dass es auch anders geht, zeigt die Schweiz. Die direkte Bergstrecke von Zürich nach Konstanz wurde 2020 zweigleisig ausgebaut. Alle Haushalte der Orte entlang der Baustrecke erhielten einen Flyer mit der Jahresübersicht über die genauen Sperrungszeiträume (4. Forderung). Schnellzüge wurden über eine längere Ausweichstrecke umgeleitet, statt durch Busse ersetzt (1. Forderung). Der Busverkehr wurde differenziert in Station-für-Station-Busse und Direktbusse von Konstanz-Kreuzlingen über die Autobahn zu einem geeigneten Bahnhof, so dass sie sogar noch etwas schneller als die reguläre Zugverbindung waren (2. Forderung).

Was hat die schlechte Qualität des deutschen SEV mit der Bahnstruktur zu tun? Bei der alten Bundesbahn waren Vollsperrungen sehr selten. Denn bei der integrierten Bahn wurden die langfristigen Verluste im Personen- und Güterverkehr den Einsparungen bei den Baukosten gegenübergestellt. Heute ist das eigenständige Unternehmen DB Netz fast ausschließlich auf möglichst niedrige Baukosten ausgerichtet. Abwanderungsverluste von der Schiene auf die Straße liegen außerhalb des Unternehmenshorizonts.

Auch darum spricht sich Bahn für Alle für eine integrierte Bahn im öffentlichen Eigentum aus.