S-Bahn Berlin: Privatisierung mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts

Ein Beitrag von Carl Waßmuth

Der Betrieb von zwei Dritteln des Berliner S-Bahn-Bahn-Betriebs wird aktuell für 15 Jahre neu ausgeschrieben. Zur Beschaffung und Instandhaltung von 1300 Wagen soll im Rahmen der bereits laufenden Ausschreibung eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) aufgelegt werden, die über 30 Jahre bestehen soll. Das Gesamtvolumen wird von der Berliner Landesregierung auf acht Milliarden Euro geschätzt. Die Landesregierung und die Parteispitzen der drei Regierungsparteien bestreiten, dass es sich bei dem Vorhaben um eine Privatisierung handelt. Gleichzeitig wird das Vorgehen als alternativlos dargestellt: Man erfülle nur die Vorgaben des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung. Innerhalb der Regierungsparteien findet die Argumentation viel Zuspruch:  Man dürfe der DB den S-Bahn-Betrieb nicht allein überlassen, sondern müsse zur Angebotsverbesserung den Wettbewerb ankurbeln. Die privatisierte S-Bahn Berlin GmbH habe das S-Bahn-Chaos 2009/10 verursacht und führe hohe Gewinne ab, statt sie zu reinvestieren. Soweit die Gemengelage.

Privatisierung

Die S-Bahn in Berlin ist schon seit vielen Jahren Privatisierungsprozessen unterworfen. Dabei gehen die Teilprozesse – wie bei Privatisierungen üblich – ineinander über und befördern die jeweils nächste Stufe: Investitionsstau (Anfang der 1990er vor dem Ringbahn-Lückenschluss), Trennung von Verkehr und Netz und anschließende formelle Privatisierung (1994), anschließend funktionale Privatisierung im Ausschreibungswettbewerb, Vernachlässigung insbesondere der Wagen im Vorfeld der (geplanten) materiellen Privatisierung bis 2009, weitere Aufspaltung im Rahmen der Ausschreibung 2012, in der die Soll-Bruchstellen der aktuellen Ausschreibung angelegt wurden. Die wiederkehrenden Phasen der Vernachlässigung, Unterinvestition und Misswirtschaft spielen in den fortschreitenden Privatisierungen eine wichtige Rolle: Intakte und einwandfrei funktionierende Einrichtungen der Daseinsvorsorge traut sich kaum jemand zu veräußern. Vor dem Hintergrund ist bei weitem nicht jeder, der lautstark die Privatisierung der DB 1994 und die schlimmen Folgen für die S-Bahn Berlin beklagt, tatsächlich an einer Kommunalisierung interessiert. Vielmehr soll die materielle Privatisierung von zwei Dritteln des Berliner S-Bahn-Bahn-Betriebs sowie die Abspaltung und Privatisierung des Wagenmaterials die bisherigen Privatisierungsfolgen angeblich mildern. Bund und Länder, im aktuellen Fall die Regierungen von Berlin und Brandenburg folgen damit immer stärker dem britischen Privatisierungsmodell.

Bahn-Privatisierung in Großbritannien, ÖPP bei der Londoner U-Bahn

In Großbritannien wurde die Britische Eisenbahn, British Rail, zwischen 1994 und 1997 in über 100 verschiedene Unternehmen zerschlagen. Der anschließende Verkauf umfasste das Schienennetz (an Railtrack), die Wagen und Lokomotiven (an vier Kapitalgesellschaften, die Rolling Stock Companies, kurz Roscos) sowie den Betrieb (an zunächst sieben Franchisegeber, später 25). Der Verkauf des rollenden Materials war begleitet vom Einzug der Investmentfonds in den Bahnverkehr. So ist Macquarie European Rail Ltd eine Leasinggesellschaft für Schienenfahrzeuge der australischen Macquarie Bank mit Sitz in London. Macquarie European Rail ist Eigentümer unter anderem der Züge, die von der Transdev GmbH im HarzElbeExpress (HEX) bis Ende 2018 eingesetzt wurden, sowie der Züge, die die Abellio Rail NRW seit Dezember 2007 auf der Ruhr-Sieg-Strecke verwendet. In Deutschland ist Macquarie durch seine Fonds für Infrastrukturprojekte bekannt, zum Beispiel für das ÖPP-Projekt Warnow-Tunnel, sowie für sein Co-Investment im Zuge der Privatisierung des baden-württembergischen Energieversorgers Badenwerk (heute EnBW). Der Waggonvermieter VTG AG, der mittelbar aus der Privatisierung der Preussag hervorgegangen war, wurde 2018 von Morgan Stanley gekauft und anschließend von der Börse genommen. VTG betreibt eine Flotte von 94.000 Zugwaggons. Ein Teil der Übernahmekosten – das Gesamtvolumen des Deals hatte 3,3 Milliarden Euro betragen – wurde vom Infrastrukturinvestor Omers beigesteuert.

Bund und Länder, in vorliegenden Falle der rot-rot-grüne Senat in Berlin und die rot-schwarz-grüne Regierung Brandenburgs, öffnen jetzt solchen Finanzmarktakteuren die Tür. Die S-Bahn-Ausschreibung 2020 wird dabei der ruinösen und am Ende krachend gescheiterten öffentlich-privaten Partnerschaft der Londoner U-Bahn immer ähnlicher. Vor zehn Jahren musste Transport for London die U-Bahn zurückkaufen – nach nur achteinhalb (statt 15) Jahren. Der Rückkauf kostete bereits 310 Millionen britische Pfund (damals circa 370 Millionen Euro), anschließend musste das System viele Jahre lang teuer saniert werden. Die Situation ist mit der S-Bahn Berlin gut vergleichbar. Die „Tube“ mit einer Milliarde Fahrgästen jährlich war in zwei Teile zerschlagen und per ÖPP privatisiert worden. Als in der darauffolgenden Chaotisierung des U-Bahn-Systems auf rein technisch-betrieblicher Ebene praktisch kein (sicherer) Verkehr mehr angeboten werden konnte, musste die öffentliche Hand eingreifen und retten, was noch zu retten war.

Öffentlich-private Partnerschaft

Der Senat behauptet, dass er durch die Schaffung der Landesanstalt in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts hohe Kapitalkosten vermeidet. Gespart wird aber nur, wenn das Land die Kredite für den Kauf wirklich selbst übernehmen würde. Im Rahmen der öffentlich-privaten Partnerschaft trägt jedoch der private Partner den Kredit, den er dann mit dem Vertrag mit den Ländern Berlin und Brandenburg besichert. So holt er sich durch jährliche Raten seine Kosten von Berlin und Brandenburg zurück. Das wird im Fachjargon „kredit-ähnlicher Rechtsvertrag“ genannt. Auf diesem Wege sinken zwar die Zinskosten für den privaten Betreiber, aber nicht automatisch für die öffentlichen Partner, denn der ÖPP-Vertragsnehmer stellt weit mehr in Rechnung als die Zinsen.

Wenn man die offizielle Legende des Senats und das tatsächlich per Ausschreibung und Gesetz geplante Vorgehen gegenüberstellt, ergibt sich folgendes Bild:

Der Senat behauptet, die Ausschreibung des Betriebs sei keine Privatisierung, und er sei durch den gesetzlichen Rahmen zur Ausschreibung gezwungen. Tatsächlich wird der Betrieb von zwei Dritteln der Berliner S-Bahn an einen oder mehrere private Betreiber abgegeben, eine Privatisierung par excellence. Die Vergabe ist keineswegs alternativlos, die Länder Berlin und Brandenburg könnten die S-Bahn Berlin-Mehrheit kaufen oder den Betrieb einer landeseigenen Gesellschaft übertragen. Allerdings wurde keine der Alternativen auch nur in Erwägung gezogen, geschweige denn, dass konkrete Schritte unternommen worden wären, der Umsetzung einer Alternative näher zu kommen. Für die Wagen wird eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) eingerichtet, die sogenannte Landesanstalt für Schienenfahrzeuge. Diese wird aber nicht selbst aktiv, sondrn übernimmt es, den ÖPP-Bieter zu beauftragen:

„Dabei beschränkt sich die Betätigung der Landesanstalt auf die Verwaltung und Nutzungsüberlassung des erworbenen Vermögens an Dritte als Betreiber; eine eigene aktive Betätigung im Schienenpersonennahverkehr oder in der Durchführung von Service- oder Werkstattleistungen für die Fahrzeuge findet nicht statt.“ [1]

Der Fuhrpark ist kein echter landeseigener Fuhrpark, wenn er die Wagen für ihre ganze Lebensdauer an Dritte abgibt. Das zeigt auch der Instandhaltungsvertrag (FBI = Fahrzeugbereitstellungs- und Instandhaltungsunternehmen):

„Das FBI verpflichtet sich die Fahrzeuge über deren gesamte Lebensdauer und für die Dauer dieses Vertrages, mindestens jedoch 30 Jahre, bereitzustellen […]“ [2]

Ein weiteres für einen ÖPP-Vertrag notwendiges Element ist, dass der Weiterverkauf des Vertrags möglich ist:

„[…] Die Finanzierung kann auch durch einen Verkauf der Vergütungsansprüche des FBI erfolgen.“ [3]

Nicht notwendig, aber typisch ist der Versuch des öffentlichen Partners, in diesem Falle der Länder Berlin und Brandenburg, sich aus der Verantwortung zu stehlen (AG = Berlin und Brandenburg):

„(1) Der FBI ist verpflichtet, das Eigentum an dem jeweiligen Fahrzeug mit dessen vertraglichen Abnahme gemäß § 35 auf die AG zu übertragen.

(2) Die Fahrzeuge stehen unabhängig vom Eigentumsübergang im unmittelbaren Besitz des FBI oder im Falle des Fahrgastprobebetriebes sowie mit Aufnahme des Regelbetriebes im unmittelbaren Besitz des EVU (sogenannte Betriebsflotte gemäß Anlage FZ). Die Gefahr für das jeweilige Fahrzeug liegt somit entweder beim FBI oder dem von den AG beauftragten EVU, jedoch zu keiner Zeit bei den AG.

(3) Die Besitzverschaffung zu Gunsten der AG (mittelbarer Besitz) erfolgt unmittelbar durch die Übergabe des jeweiligen Fahrzeugs an das EVU, das mit dem Fahrzeug fahrplanmäßige Verkehrsleistungen durchführen soll.“ [4]

Noch weitergehend ist die organisierte Verantwortungslosigkeit im Errichtungsgesetz der Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin.

Anstalt des öffentlichen Rechts

Dass für die Wagen mit der Landesanstalt für Schienenfahrzeuge eine Anstalt des öffentlichen Rechts eingerichtet wird, ist eine Besonderheit des Berlin-Brandenburger S-Bahn- Privatisierungsmodells. Dieser Teilaspekt wird von den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses der Berliner Regierungskoalition „Kommunalisierung“ genannt. In diesem Sinne tauschten sich am 10. Dezember 2020 auf Twitter zwei Abgeordnete wie folgt aus:

„Wenn die S-Bahnzüge der Stadt Berlin gehören ist es Komnunalisierung. Was sonst?“ (Harald Moritz, Bündnis 90/Die Grünen)

„Wir gründen gerade eine Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin, um einen landeseigenen S-Bahn-Wagenpark aufzubauen. Das ist der Einstieg in die Kommunalisierung der S-Bahn, sagt Kollege Harald Moritz gerade. Recht hat er“ (Tobias Schulze, Die Linke Berlin, stellv. Franktionsvorsitzender).

Die Landesanstalt Schienenfahrzeuge AöR stellt allerdings eine vorgetäuschte Kommunalisierung dar, wie der Entwurf für das Errichtungsgesetz zeigt. Zusammen mit der schon zuvor in Gang gesetzten Ausschreibung wird die AöR zum Dasein einer Briefkastenfirma verdammt.

Eine Anstalt des öffentlichen Rechts schützt nicht vor Privatisierung. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) wurden 1999 teilprivatisiert, die Geschäftsführung wurde im Anschluss einem Konsortium aus RWE und Veolia übergeben. Erst 2013 und nach einem gewonnenen Volksentscheid konnte die Rekommunalisierung erreicht werden. Dazwischen lagen Jahre mit enorm steigenden Wassergebühren und stark gesunkenen Investitionen. Während des gesamten Abenteuers, dessen Verluste für die Allgemeinheit in die Milliarden gingen, waren und blieben die BWB eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Diese Rechtsform hatte man den Wasserbetrieben erst fünf Jahre vor der Privatisierung gegeben. Davor waren sie ein Eigenbetrieb des Landes Berlin – die Umwandlung in die AöR gehörte bereits zu den Privatisierungsvorbereitungen, ebenso wie die Misswirtschaft des letzten Vorstands vor der Privatisierung, von Beruf Arzt.

Anstalten des öffentlichen Rechts benötigen ein Errichtungsgesetz, in dem ihre Aufgaben und Organe festgelegt werden. Ob eine Einrichtung der Daseinsvorsorge gut oder schlecht vor Privatisierung geschützt ist, hängt von der Ausgestaltung im Errichtungsgesetz und in der Satzung ab sowie von der Besetzung der Organe. Für die S-Bahn wurde die Ausschreibung im Sommer 2020 veröffentlicht. Der Entwurf für das Gesetz über die Errichtung einer Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin (LSFB-Errichtungsgesetz – LSFBG) wird erst jetzt diskutiert. [5] Schon allein dieser Umstand ist misslich, bedeutet er doch, dass die Festlegungen der Ausschreibung das Gesetz in Teilen determinieren. Selbstverständlich kann der Gesetzgeber die Ausschreibung auch ignorieren – dann nimmt er jedoch in Kauf, dass die Ausschreibung teuer scheitert und die Wagenbeschaffung sich weiter verzögert.

Generell kann eine AöR für ein Nahverkehrsunternehmen sinnvoll sein. Die BVG ist als AöR verfasst, und sie erfüllt viele ihre Aufgaben gut. [6] Die neue Landesanstalt Schienenfahrzeuge soll aber keinesfalls wie die BVG arbeiten. Ihre Fahrzeuge und die zugehörigen Werkstätten übernimmt sie – anders als die BVG – nur formell, nicht tatsächlich. Zudem überlässt sie Wagen und Werkstätten Dritten im Zuge einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP). Sie verpflichtet sich nicht, Einsatzfähigkeit und Fahrzeugverfügbarkeit ihrer Wagen zu garantieren! [7] Aus dem Gesetzentwurf, §2 Aufgaben (2):

„Dabei beschränkt sich die Betätigung der Landesanstalt auf die Verwaltung und Nutzungsüberlassung des erworbenen Vermögens an Dritte als Betreiber; eine eigene aktive Betätigung im Schienenpersonennahverkehr oder in der Durchführung von Service- oder Werkstattleistungen für die Fahrzeuge findet nicht statt.“

Dieser Passus macht aus der AöR eine Verwaltungsstelle für die Privatisierung der S-Bahn und verbietet ihr sogar eine eigene Tätigkeit. Der Passus sollte unbedingt aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden. Die Landesanstalt übernimmt auch nicht die Kredite für den Kauf. Zwar heißt es in der Begründung für den Gesetzentwurf:

„Die Übernahme des Fahrzeugeigentums entlastet durch die zu errichtende Landesanstalt die Preiskalkulation sowohl des/der FBI als auch des/der EVU von hohen Kapitalkosten. Diese Entlastung dient den haushälterischen Interessen des Landes.“

Das klingt gut – aber die Entlastung wird durch die noch höheren Kosten des ÖPP-Projekts mehr als aufgezehrt. Dass die Kosten von ÖPPs regelmäßig deutlich höher sind als eine Erbringung der Leistungen durch die öffentliche Hand selbst, belegen zahlreiche Berichte der Landesrechnungshöfe und des Bundesrechnungshofs.

Der Senat behauptet, dass mit einer Landesanstalt Schienenfahrzeuge die S-Bahn zu einem wesentlichen Anteil kommunalisiert werde. Tatsächlich schafft er per Gesetz eine AöR, die nur als Hülle dient für die auszulagernden Aufgaben an private Dritte im Zuge einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Das angeblich kommunalisierte Eigentum an den Wagen wird für die komplette zu erwartende Lebensdauer der Wagen abgegeben, die Landesanstalt erhält die Wagen erst zurück, wenn sie kurz vor der Verschrottung stehen. [8] Die Landesanstalt darf per Gesetz nicht selbst tätig werden, weder im Schienenpersonennahverkehr noch in der Durchführung von Service- oder Werkstattleistungen für die Fahrzeuge. Sie dient nur dazu, zu verschleiern, dass die Fahrzeuge an einen Dritten abgegeben werden.

Zerschlagung konkret

Die Ausschreibungsunterlagen umfassen  Dutzende Dokumente, darunter einen Fahrzeugbereitstellungsvertrag, einen Fahrzeugkaufvertrag, einen Fahrzeugüberlassungsvertrag, einen Instandhaltungsvertrag, einen Verkehrsvertrag und eine Liste der ausgewählten Tarifverträge. Dazu kommen 33 Anlagen, die unter anderem den Fahrplan oder Informationen zu den optionalen Werkstattstandorten enthalten. Im Merkblatt zur Vorgehensweise bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots wird unterschieden, ob eine Beauftragung aller vier Einzellose möglich ist oder andere Kombinationen erforderlich sind. Dabei ist auch nicht zu vergessen, dass mit der Vergabe eines Verkehrsvertrags an einen anderen Betreiber als die DB auch die Trennung von Netz und Verkehr wirksam wird. Die Komplexität des ganzen Verfahrens schreit geradezu nach Dutzenden Gerichtsverfahren.

Die neue Ausschreibung ist geprägt von dem festen Entschluss, die DB herauszudrängen. Daher werden die bestehenden Werkstätten als nicht existent angesehen. Alle Bieter müssen neue Werkstätten bauen – auch die DB. Die neuen Werkstattgrundstücke müssen erst noch an das S-Bahnnetz angeschlossen werden. Dazu sollen Erbbaurechtsverträge abgeschlossen werden. Die vorgesehenen Grundstücke stehen im Eigentum des Landes Berlin (Schönerlinder Straße), von Bombardier Transportation (Hennigsdorf), der DB Netz AG (Fredersdorf) sowie „einer landeseigenen Gesellschaft (Waßmannsdorf). Um den Anschluss der Werkstätten an das Netz zu gewährleisten, übernimmt Berlin erhebliche Risiken:

„Sofern die Länder ihre Mitwirkungspflichten aus Anlage IW nicht vollständig erfüllen oder die in Anlage IW genannten Maßnahmen nicht durchführen und aus diesem Grund für einen nicht rechtzeitigen Anschluss der Werkstatt an das S-Bahn-Netz verantwortlich sind, erstatten die Länder dem FBI die hieraus resultierenden, vom FBI nachgewiesenen, Schäden.“ (Instandhaltungsvertrag)

Man begibt sich also in Abhängigkeit von Bombardier Transportation (Hennigsdorf) und der DB Netz AG (Fredersdorf), beides Akteure, die Wettbewerber sind, vielleicht aber nicht den Zuschlag bekommen.

„Errichtet das FBI eine Werkstatt an den in Anlage IW genannten Standorten, hat das FBI einen nach den Vorgaben des Teils A der Anlage EPV entsprechenden Erbbaurechtsvertrag abzuschließen. […] Sodann wirken die Länder darauf hin, dass von Seiten des Berliner S-Bahn-Netzes rechtzeitig deren Anschluss hergestellt wird. Hierfür werden die Länder die Abstimmung mit dem Infrastrukturbetreiber initiieren und aktiv begleiten.“ (Instandhaltungsvertrag)

Eine der Anlagen enthält den Fahrplan Stand 2020, der Basis der Ausschreibung ist. Schon allein diese Festlegung bedeutet, dass die Auftragnehmer bei jeder Änderung eventuell die Hand aufhalten können. Zudem ist in der Anlage zum Fahrplan wiederum die Verfügbarkeit von zahlreichen Abstellanlagen in Aussicht gestellt. Diese Verfügbarkeit wird aber nicht verbindlich zugesichert:

„Die AG machen darauf aufmerksam, dass aus den im Fahrplan unterstellten Abstellanlagen noch keine Aussage zur tatsächlichen Verfügbarkeit dieser Abstellanlagen und keine Zusicherung einer tatsächlichen Anmietung der Abstellanlagen in einer bestimmten Netzfahrplanperiode abgeleitet werden kann.“ (Anlage Fahrplan / FP der Ausschreibungsunterlagen)

Klappt etwas nicht mit den Abstellanlagen, zum Beispiel  weil die DB angibt, diese selbst zu benötigen,  zahlen Berlin und Brandenburg Entschädigungen. Das Projekt erinnert an Trumps Ankündigung, eine Mauer zu Mexiko zu bauen und Mexiko die Kosten bezahlen zu lassen. Hier soll die DB aus einem Großteil des S-Bahn-Betriebs rausgeworfen werden, ihre bestehenden Werkstätten entweder abgeben oder schließen, Abstellanlagen zur Verfügung stellen und gleichzeitig für die neuen Betreiber als neutraler Infrastrukturbetreiber fungieren.

„DB und Bund verkaufen die S-Bahn Berlin GmbH nicht“

Als die Berliner Landesregierung im Januar 2012 anfragte, ob die DB Anteile der S-Bahn Berlin GmbH verkaufen würde, kam das Nein prompt – innerhalb weniger Tage. Vermutlich wurde nicht einmal der Aufsichtsrat befragt. Die Absage wird seither wie eine unumstößliche und allzeit gültige Tatsache präsentiert, und zwar sowohl von der Berliner Landesregierung als auch von der Bundesregierung. Dabei gilt festzustellen:

  • Die Anfrage wurde im Rahmen der letzten Ausschreibung gestellt, die andere Bedingungen hatte, die S-Bahn Berlin GmbH konnte sich an den Fingern abzählen, dass sie die Ausschreibung gewinnen würde, und sie hat sie später tatsächlich gewonnen. Alle anderen Bieter zogen sich letztlich zurück. Inzwischen haben wir eine neue Ausschreibung, die wesentlich marktradikaler und zerstörerischer formuliert ist.
  • Inhalt und Wortlaut der Anfrage von 2012 an die DB sind nicht öffentlich bekannt. Wurde ein bestimmter Preis geboten, gab es Randbedingungen?
  • Zeitlich sind wir mehrere Bundes- und Landesregierungen später, in Brandenburg sind SPD, CDU und Grüne an der Regierung, in Berlin SPD, Linke und Grüne, im Bund CDU/CSU und SPD. Neue Konstellationen eröffnen neue Möglichkeiten.
  • Die DB ist nicht dieselbe wie 2012, als noch Rüdiger Grube Bahnchef war. Dachte man 2012 vielleicht noch daran, dass der Börsengang doch noch einmal auf die Tagesordnung kommt, ist das heute endgültig passé. Die DB Mobility Logistics, die für den Börsengang gegründet worden war, ist wieder aufgelöst. Mit Arriva wurde ein Verlustbringer eingekauft, der sich als nahezu unverkäuflich erwiesen hat. Die DB ist hochverschuldet. Sie braucht dringend Geld, vor allem Eigenkapital. Wieso sollte sie bares Geld zurückweisen?

Man kann die DB nun von vielen Seiten aus fragen, ob sie verkauft beziehungsweise zu welchem Preis sie verkaufen würde: Seitens der Bundesregierung, seitens der Berliner oder der Brandenburger Landesregierung, über parlamentarische Anfragen. Auch wir vom Bündnis Eine S-Bahn für Alle und alle NutzerInnen und FreundInnen der S-Bahn Berlin, alle BerlinerInnen und BrandenburgerInnen, alle TouristInnen können öffentlich fragen, Briefe schreiben, Postkarten schicken, Plakate aufhängen. Eine acht Jahre alte Antwort muss niemand akzeptieren.

Auch hier hilft das Beispiel der Berliner Wasserbetriebe: Der Wasser-Volksentscheid von 2011 hat dem Image von RWE und Veolia zwar geschadet, aber ihre Anteile mussten sie deswegen noch keineswegs verkaufen. Dass das doch passiert ist, daran hat der Wassertisch sicher einen wesentlichen Anteil. Es gab eine eigene „Verkaufen“-Kampagne dazu. Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat dann wohl oder übel den Rückkauf verhandelt (und den goldenen Handschlag angeboten).

Auch die Deutsche Bahn AG reagiert durchaus auf Druck von außen. Als einmal eine Schalterzulage kurz vor Weihnachten geplant war, schaltete sich Angela Merkel ein. Sie war weder im Aufsichtsrat der DB noch Vertreterin auf der Hauptversammlung. Aber die DB hat ihr Projekt trotzdem zurückgezogen. (Auf einem anderen Blatt steht, dass das Preissystem inzwischen doch teilweise mehr Geld am Schalter verlangt. Das wurde aber eher heimlich und deutlich später umgesetzt.) Einflussnahme klappt auch auf Landesebene: Mehdorn plante, die DB-Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg zu verlegen. Wegen der Arbeitsplätze (und der Steuern) wurde Klaus Wowereit fuchtig – und setzte sich durch.

Im vorliegenden Fall müsste der Berliner Senat – immer auch stellvertretend für Brandenburg – dringend ein erstes konkretes Angebot machen. Wenn das für die DB wirtschaftlich ist, kommen DB-Vorstand und -Aufsichtsrat womöglich unter Druck, schließlich sind sie gemäß Aktienrecht angehalten, zum Wohle des Unternehmens zu handeln.

Der Senat kann wöchentlich nachfragen, ob die DB jetzt verkaufen will. Und sowohl die Anfrage als die Aussage der DB öffentlich machen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, kann sagen: „ Die S-Bahn Berlin werden wir in jedem Fall rekommunalisieren.“ Er kann auch offen über eine Enteignung nachdenken, für den Fall, dass die DB sich sträubt. Er kann auch so schöne Sätze platzieren wie: „Die S-Bahn Berlin gehört den Berlinerinnen und Berlinern, nicht der Vorstandsetage der DB.“ Die Verkehrssenatorin Regine Günther kann Interviews geben, in denen sie darstellt, weswegen ein Aufkauf der S-Bahn Berlin für den Klimaschutz so wichtig ist. Und was man dann alles Tolles machen könnte, was die DB aber derzeit verhindert. Und last but not least kann Berlin wie beim Strom ein eigenes Unternehmen gründen und startklar machen für eine reguläre Übernahme. Das dauert vielleicht fünf Jahre, aber nach dieser Zeit bekommen Berlin und Brandenburg die S-Bahn dann in jedem Fall, ob die DB verkaufen will oder nicht. Berlin und Brandenburg vergeben den Betrieb danach einfach an sich selbst. Die Ablöse für die Wagen und die Werkstätten dürfte dann wesentlich günstiger ausfallen.

Fazit

Die neue Landesanstalt Schienenfahrzeuge ist eine staatlich errichtete Briefkastenfirma, die einzig dazu dient, ein gigantisches ÖPP-Projekt umzusetzen. Solche ÖPPs sind enorm teuer, liefern schlechte Leistungen und behindern durch ihre starren Verträge jegliche Weiterentwicklung. Das ist Planwirtschaft zugunsten von Kapitalanlegern. Es werden 30 Jahre lang erhebliche Steuergelder an die Finanzwirtschaft gezahlt, statt die Mittel der Daseinsvorsorge und dem Klimaschutz zuzuführen. Die Ausschreibung zerschlägt die bestehende S-Bahn und liefert die Teile Finanzmarktakteuren aus – die dann teilweise gegenläufige Interessen verfolgen und gegen einander und gegen das Land Berlin prozessieren. Der eigentliche Betrieb geht dabei unter. Die KundInnen bleiben auf der Strecke. Die Beschäftigten erwartet auch Ungemach: Wer heute in einer DB-Werkstatt oder als Lokführer arbeitet, hat angesichts der Ausschreibung keine dauerhaft sichere Perspektive mehr. Dazu kommt: Die bestehende Tarifbindung gilt nicht für die neuen Bieter, alle in den letzten Jahren von den Beschäftigten erkämpften Arbeitsbedingungen sind perdu. Und selbstverständlich führt Privatisierung zu Arbeitsverdichtung: Die Ausbeutung nimmt zu und macht die Leute krank. Das alles ist vermeidbar. Das Land müsste sich nur entschließen, eine echte anstelle einer vorgetäuschten Kommunalisierung vorzunehmen. Am schnellsten ginge das durch den Aufkauf der S-Bahn Berlin GmbH (gerne mit anschließender Umwandlung in einen Eigenbetrieb). Man könnte auch statt einer Landesanstalt Schienenfahrzeuge eine Landesanstalt S-Bahn gründen und dieser Beschaffung, Instandhaltung und Betrieb übertragen. In beiden Fällen würden Milliarden Euro an Kosten gespart und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten dauerhaft gesichert. Die Wagenbeschaffung könnte schneller und auch kontinuierlicher erfolgen als auf dem Wege der komplexen Groß-Ausschreibungen alle 15 Jahre. Und vor allem hätte das Land Berlin einen unmittelbaren Einfluss auf den wichtigsten Schienenpersonennahverkehr-Anbieter Berlins und könnte die S-Bahn zu dem leistungsfähigen und ökologischen Verkehrsträger ausbauen, den wir im Kampf gegen die Klimaerhitzung dringend benötigen.


Fußnoten:

[1] Entwurf für ein Gesetz über die Errichtung einer Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin (LSFB-Errichtungsgesetz – LSFBG), Drucksache 18/3190 vom 26.11.2020, Abgeordnetenhaus von Berlin

[2] Instandhaltungsvertrag, Abschnitt 2: Pflichten des FBI, § 9 Wesentliche Maßgaben für die Verfügbarmachung, (5), online unter https://www.daisikomm.de/verfahren/D63399/

[3]Fahrzeugkaufvertrag, Abschnitt 3: Vergütung und Sicherheiten, § 26 Vergütung (7), online unter https://www.daisikomm.de/verfahren/D63399/

[4] Fahrzeugkaufvertrag, Abschnitt 4: Lieferung und Abnahme, § 36 Gefahrübergang und Eigentumsübergang, a.a.O.

[5] Entwurf Errichtungsgesetz Drucksache 18/3190, a.a.O.

[6] Interessanterweise zieht die BVG für Aufgaben, die eher kritisch bewertet werden, zum Beispiel neue Tunnelbauten, seit geraumer Zeit Tochter-GmbHs hinzu und umgeht damit teilweise die Vorgaben der Rechtsform.

[7] Aus der Begründung zum Gesetzentwurf: „Die Landesanstalt soll daher in den im Ergebnis des wettbewerblichen Vergabeverfahrens zwischen den Aufgabenträgern und dem/den Fahrzeuglieferanten und -instandhalter(n) (nachfolgend: FBI) abgeschlossenen Fahrzeugkaufvertrag mit schuldbefreiender Wirkung für die Aufgabenträger eintreten. Somit wird die Landesanstalt sowohl Vertragspartner des/der FBI werden, als auch dem/den EVU die Fahrzeuge gegen kostendeckendes Entgelt zur Nutzung überlassen, ohne jedoch für deren Einsatzfähigkeit und Fahrzeugverfügbarkeit verpflichtet zu sein.“

[8] Aus der Begründung zum Gesetzentwurf: „Aufgrund europarechtlicher Vorgaben […] sind Verkehrsverträge auf eine Regelhöchstlaufzeit von 15 Jahren begrenzt. Eine Nutzungsdauer von nur 15 Jahren für die Schienenfahrzeuge mit einer typischen Nutzungsdauer von 30 Jahren wäre wirtschaftlich aufgrund des damit nach Ablauf des 15-jährigen Verkehrsvertrages verbundenen Risikos der Verwendbarkeit und des verbleibenden Restwertes der Fahrzeuge ökonomisch nicht vertretbar.“

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