Menetekel Rastatt

Samstag, 12. August 2017, 11.03 Uhr: In der Nähe von Rastatt, im Badischen, sackt der Schienenstrang der Rheintalbahn um bis zu einem halben Meter ab. Die Profis der Deutschen Bahn AG waren am Werk: Bei höchst riskanten Bauarbeiten für eine neue Bahntrasse, die im Tunnel verlaufen soll, kam es zum GAU: Die Tunneldecke brach ein; Geröllmassen und Wasser stürzten in den Bau. In letzter Minute konnten Züge auf der Strecke gestoppt werden – eine Eisenbahnkatastrophe war im Bereich des Möglichen. Seither versucht die Bahn, die Hohlräume mit Beton zu verfüllen. Teil der Füllmasse ist die 18 Millionen Euro teure Tunnelbohrmaschine, die nicht mehr evakuiert werden konnte. Angesichts der Totalsperrung werden täglich 20.000 Fahrgäste mit Bussen hin- und hergekarrt. 200 Güterzüge pro Tag fahren riesige Umwege. Oder sie fahren erst gar nicht. So wie ein ÖBB- Nachtzug und – lange Zeit – ein privater Autoreisezug. Frühestens am 7. Oktober soll die Streckensperrung aufgehoben werden. Es handelt sich um die folgenreichste Vollsperrung des Schienenverkehrs seit Jahrzehnten. Dutzende Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen stehen vor dem Aus. Der Gesamtschaden geht in die Milliarden. Nicht zu reden von dem enormen Prestigeverlust für die Schiene.

Doch in den Medien ist zu all dem wenig zu lesen. Die Politik schweigt. Der Chef von DB Netz, Ronald Pofalla, ist im selbst gebuddelten medialen Tunnel abgetaucht – schließlich möchte er nach der Wahl Bahnchef werden. Zwei Lehren lassen sich aus „Rastatt“ ziehen: Erstens, dass die für Verkehrspolitik Verantwortlichen in der Regierung (Dobrindt!) und bei der Bahn (Lutz! Pofalla!) eine Politik betreiben, die den Interessen des Schienenverkehrs entgegengesetzt ist. Beispielsweise gibt es auf der wichtigen potentiellen Ausweichroute Gäubahn auch eine Sperrung und Bauarbeiten. Konkrete Vorschläge von betroffenen Schienenverkehrsunternehmen zur Schadensbegrenzung wurden nicht aufgegriffen. Zweitens ist der Tunneleinbruch bei Rastatt ein Menetekel für Stuttgart21. Im Badischen gab es das Desaster bei Tunnelbauarbeiten, die fünf Meter unter den Gleisen und im nicht bewohnten Gebiet stattfanden. In Stuttgart sollen Tunnelbauten mit einer gesamten Länge von 60 Kilometern im dicht bewohnten Gebiet realisiert werden. Teilweise beträgt die Distanz zwischen der Tunneldecke und Kellerboden von Gebäuden nur zwei Meter. Die Bodenbeschaffenheit im Badischen war berechenbar. In Stuttgart verlaufen 16,7 Kilometer Tunnel im unberechenbaren Gipskeuper (Anhydrit).

Winfried Wolf, Bahn für Alle