Grube als Global Player-Maxe: Deutsche Bahn AG kauft Arriva
von Winfried Wolf
Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG hat am 21. April den Kauf des britischen Bus- und Bahnbetreibers Arriva abgenickt. Dieser war in den Wochen zuvor von Bahnchef Rüdiger Grube eingefädelt worden. Das Arriva-Management hat der Übernahme zugestimmt. Angesichts des verlockenden Kaufpreises gilt das Ja der Arriva-Aktionäre als gesichert – es sei denn, die französische Eisenbahngesellschaft SNCF beginnt einen ″Bieterwettbewerb″. Das allerdings wäre tollkühn – ist doch bereits das Vorgehen der Deutschen Bahn AG äußerst riskant.
Die Deutsche Bahn AG will für den Arriva-Kauf ziemlich genau drei Milliarden Euro ausgeben. 1,8 Milliarden Euro sind der reine Kaufpreis. Hinzu kommen ″Nettoverbindlichkeiten von Arriva in der Größenordnung von einer Milliarde Pfund″ (Handelsblatt vom 22.4.). Der reale Kaufpreis liegt damit um gut 50 Prozent über dem Börsenwert (von 1,35 Milliarden Pfund). Es handelt sich damit um den mit Abstand größten Aufkauf seit Gründung der DB AG Anfang 1994 (siehe Artikel unten). Auch in Relation zum Umsatz wirkt der Kaufpreis politisch motiviert: Arriva erwirtschaftete 2009 3,15 Milliarden Pfund (oder 3,6 Milliarden Euro). Das Unternehmen zählt europaweit 42.000 Beschäftigte. Arriva wurde von der Krise massiv getroffen und erlebte 2009 erstmals einen Einbruch bei der Zahl der beförderten Fahrgäste.
Mit dem Aufkauf erhöht sich die Schuldenlast des Unternehmens, die aktuell bereits bei 15 Milliarden Euro liegt – auf dann rund 18 Milliarden Euro. Die DB AG war 1994 gebildet worden mit dem Ziel, ein nunmehr schuldenfreies Bahnunternehmen zu haben. Mit dieser Begründung waren die aufgelaufenen Schulden der westdeutschen Bundesbahn und der ostdeutschen Reichsbahn in den Sonderfonds BEV (Bundeseisenbahnvermögen) überführt und später insgesamt den öffentlichen Schulden zugerechnet worden. Zum Vergleich: Die Bundesbahn hatte im Zeitraum 1949 bis 1990 eine Gesamtverschuldung von rund 45 Milliarden D-Mark (oder rund 23 Mrd. Euro) aufgetürmt. Dass diese Schuldensumme in den Folgejahren nochmals deutlich anstieg, hat vor allem damit zu tun, dass Kosten der deutschen Einheit dem Unternehmen aufgebürdet wurden. Die DB AG hat in jüngerer Zeit – seit 2008 – wiederholt erklärt, vorrangiges Ziel sei es, die Verschuldung wieder abzubauen. Und es war gerade der neue Bahnchef Rüdiger Grube, der dieses Ziel (″Konsolidierung″) vorgegeben hatte. Mit dem Arriva-Deal kommt es zum Gegenteil. Die Bahn nähert sich einem neuen Schulden-Rekordstand.
Bahnchef Grube verfolgt wie zuvor Mehdorn das global player-Modell. Die Deutsche Bahn AG will in erster Linie auf dem Weltmarkt für Logistik und Verkehr ein großer Spieler sein; das inländische angestammte Geschäft des Schienenverkehrs ist sekundär bzw. nur dort interessant, wo hohe Sondergewinne – etwa im Nahverkehr durch den Transfer von Steuergeldern – erwirtschaftet werden können.
Der vorausgegangene Bahnchef begründete diesen Kurs mit einer nachgerade militärstrategischen Terminologie. Mehdorn äußerte einmal vor Belegschaftsvertretern – anlässlich des Kaufs von EWS (der englisch-walisisch-schottischen Eisenbahn): „Dieses Mal werden wir den Gegner (Frankreich) von hinten angreifen“. Da EWS eine Konzession für den Eurotunnel hat, könne die Deutsche Bahn AG nunmehr von Großbritannien aus die französische Staatsbahn attackieren. Beim Arriva-Kauf geht es ebenfalls vor allem um die deutsch-französische Konkurrenz. SNCF und Deutsche Bahn AG sind in Europa die beiden größten Schienenverkehrsunternehmen.Beide entwickelten sich parallel mit der Globalisierung zu Logistik-Konzernen – wobei die Deutsche Bahn AG hier deutlich vor der Konkurrenz aus Frankreich liegt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer rechtfertigte seine Unterstützung für den Kurs der DB AG zum Aufkauf der Arriva ebenfalls mit einer militär-strategischen Formulierung: Wenn die Bahn sich nicht mit solchen Übernahmen auseinandersetze, werde ″sie bald umzingelt sein von Unternehmen der Franzosen und der Engländer.″ Dass es im Interesse der Fahrgäste und im Interesse der Daseinsvorsorge einen völlig anderen Kurs geben könnte, ist Grube und Ramsauer völlig fremd.
Die deutsche Post ist im übrigen ein mahnendes Beispiel, wohin diese Strategie führt: Die Post expandiert seit ihrer weitgehenden Privatisierung aggressiv nach außen; unter anderem arbeitet ihre Tochter DHL als Logistiker für den Irak-Krieg. Gleichzeitig schließt sie alle Postämter im Inland, reduziert die Zahl der Briefkästen radikal und will demnächst die Briefzustellung an Samstagen aufgeben. So ganz nebenbei fuhr die Post allein im US-Geschäft, das sie inzwischen weitgehend aufgeben musste, einen Gesamtverluste in Höhe von fünf Milliarden Euro ein.
Die DB AG steht vor enormen Aufgaben im eigenen angestammten Bereich: Das Streckennetz ist marode. Es wurde darüber hinaus allein seit 1995 um mehr als 8000 km gekappt. Der Ersatz der IC-EC-Garnituren ist überfällig. Bei der Hälfte der ICE-Züge müssen die Radsätze ausgetauscht werden. Um die Berliner S-Bahn wieder in einen akzeptablen Zustand zu versetzen, müsste die Deutsche Bahn AG mindestens eine halbe Milliarde Euro investieren. Wenn jüngst ein ICE bei Tempo 250 km/h eine Tür verlor und diese bei einem entgegenkommenden ICE die Fenster des Bordbistros aufschlitzte, dann dürfte dies auf die massive Reduktion von allgemeinen Wartungsarbeiten zurückzuführen sein.
Zurück zum Thema Radsätze: Die enorm kurzen Intervalle mit Ultraschallprüfungen, die inzwischen bei den meisten ICE-Radsätzen alle 15.000 km bzw. alle 30.000 km – das heißt: alle 14 Tage beziehungsweise monatlich – durchgeführt werden müssen, kosten jährlich hohe Beträge. Sie sind erforderlich, weil die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt zu Recht fürchtet, dass nur auf diese Weise die erforderliche Sicherheit gewährleistet werden kann. Die Bahn argumentiert, dass der Radsatzaustausch erst bis Anfang 2013 komplett durchgeführt sei Die Behauptung, früher wären diese Achsen und Räder nicht lieferbar, ist nicht nachvollziehbar; schließlich verfügen andere Hochgeschwindigkeitszüge in Japan, Frankreich und Spanien über stärker dimensionierte, sicherere Radsatzwellen. Es geht hier offensichtlich auch um Geld – das Grube und Ramsauer eben lieber für den Zukauf von Arriva anstatt für sichere ICE-Radsätze oder für eine zufriedenstellende Berliner S-Bahn investieren wollen.
Es geht um die Busse
Tatsächlich muss man den beabsichtigten Kauf von Arriva zum einen im Zusammenhang mit der allgemeinen global-player-Strategie der DB AG sehen. Zum anderen geht es auch um die Intensivierung des Kurses weg von der Schiene und rauf auf die Straße.
Zusammen mit dem Kurs auf die Börse verfolgt die Deutsche Bahn AG die Orientierung auf das weltweite Logistik-Geschäft. Das begann 2002 mit dem Kauf des Lkw-Speditionsuternehmens Stinnes-Schenker, wofür 2,5 Milliarden Euro ausgegeben wurden. 2006 wurde für knapp eine Milliarde Euro der US-Logistiker Bax Global aufgekauft. Damals hieß es, man müsse mit der Deutschen Post AG gleichziehen. Inzwischen musste die Post den US-Markt fast komplett aufgeben. Es folgte 2007 der Kauf der britischen Güterbahn EWS und der spanischen Güterbahn Interfesa. 2008 wurden in Großbritannien die Chiltern Railways übernommen. Bald darauf verkündete Mehdorn den Einstieg in den polnischen Güterbahnmarkt. 2010 übernahm die Bahn ein Verkehrsnetz im Nordosten Englands. In den kommenden Wochen sollen neue Großdeals in Abu Dabi und in Katar verkündet werden.
Mit dem Zukauf von Arriva wird die Bahn vor allem Europas größter Busbetreiber. Das Unternehmen ist führend im Londoner Busverkehrsmarkt. In Großbritannien betreibt Arriva 6300 Busse. In Italien und Dänemark zählt sie zu den größten Buslinien-Betreibern. Die Bundesregierung hat laut Koalitionsvertrag vor, noch in dieser Legislaturperiode das Personenbeförderungsgesetz so zu verändern, dass flächendeckende Buslinien-Verkehre erlaubt werden – auch in direkter Konkurrenz zur Bahn. Das wird für den Schienenverkehr eine ruinöse Angelegenheit, da die Verkehrsmarktordnung derart verzerrt ist, dass Busse Verbindungen um 50 bis 70 Prozent günstiger als die Bahn anbieten werden.
Es ist keineswegs ein Widerspruch, wenn nun die DB AG selbst in großem Maßstab in den Busverkehr einsteigt. Die Bahn-Oberen werden selbst mitmachen, den Schienenverkehr zu zerstören und den Straßenverkehr zu fördern. Der wichtigste Profiteur der Orientierung auf Busse wird Europas größter Bushersteller, die Daimler AG sein. Die vorausgegangenen Bahn-Chefs Heinz Dürr und Hartmut Mehdorn kamen ebenso von Daimler wie Rüdiger Grube, der bei Daimler-Dasa Mehdorns Büroleiter war und der bei Daimler für die – weitgehend gescheiterte – Orientierung auf den Umbau zum Weltkonzern (mit den gescheiterten Übernahmen Chrysler und Mitsubishi) verantwortlich war.
Update 17.06.2010: Arriva-Aktionäre nehmen DB-Angebot an
Die Aktionäre der Arriva plc haben heute das Übernahmeangebot der Deutschen Bahn angenommen. Für die Annahme war eine Zustimmung von mindestens 75 % notwendig. Die DB AG hat für jede Aktie 775 Pence geboten, umgerechnet zusammen rund 1,8 Mrd. EUR.
Nach der Übernahme, die für August geplant ist,soll die Marke Arriva außerhalb Deutschlands erhalten bleiben. Gestern hat DB-Chef Rüdiger Grube vor den Verkehrspolitikern des Bundestages die Expansionsstrategie des bundeseigenen Unternehmens verteidigt: Im Inland sei die Deutsche Bahn zunehmendem Wettbewerb ausgesetzt, deshalb müsse sie woanders wachsen.