Bahnprivatisierung durch die Hintertür – verschoben auf Dezember 2015

von Winfried Wolf

Die Deutsche Bahn AG hat auf ihrer Aufsichtsratssitzung am vergangenen Montag Beschlüsse zur Restrukturierung des Konzerns auf drei Ebenen gefasst: Erstens ging es um einen personellen Umbau mit erheblichen Konsequenzen für den Bahnverkehr. Zweitens soll die Zwischenholding DB ML (Deutsche Bahn Mobility Logistics) wegfallen. Drittens gibt es die Option auf den Verkauf von „bis zu 20 Prozent Anteilen an DB Schenker International und DB Arriva“. Was bedeuten diese drei Maßnahmen im Einzelnen?

Die erheblichen personellen Veränderungen unterstreichen: Der Gewinneinbruch, der Rückgang der Anteile im Schienenfernverkehr und die fortgesetzten Verluste von Nahverkehrsbestellungen bei DB Regio setzen sich ungebrochen fort. Sie werden in der neuen Bilanz für das erste Halbjahr 2015 dokumentiert. Die Folge: Der Bahnchef braucht, um seine Stellung mit Option auf Verlängerung des Top-Mandats bis zum Seniorenheim zu verteidigen und um sich in die anstehenden Flitterwochen absetzen zu können, vor allem eines: Bauernopfer. Das einzige weibliche Bahnvorstandsmitglied,  Heike Hanagarth, wurde bereits vor wenigen Wochen (und nach gerade mal eineinhalbjähriger Amtszeit) gegangen. Gerd Becht, Konzernvorstand für Datenschutz, wurde abserviert, auch um dem Neueinsteiger im Bahnvorstand, Ronald Pofalla, ein dem Ego entsprechendes Großrevier einrichten zu können. Karl-Friedrich Rausch  wurde vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Eine besondere Bedeutung kommt der Personalie Ulrich Homburg. Dieser wurde lange Zeit als Nr. 2 im Konzern gehandelt. Er verliert seinen Top-Job mit 59 Jahren – nur um mit Bertholt Huber einen Mann in den Bahnvorstand hoch zu spülen, der vor allem ein Homburg-Gewächs ist und der als Ex-Chef bei DB Fernverkehr für all das maßgeblich verantwortlich ist, was hier schief lief und was Tag für Tag schief läuft. Nirgendwo im dreiseitigen Grube-Brief, an keiner Stelle  auf der Pressekonferenz am Tag nach der Aufsichtsratssitzung ein Wort von dem „neuen Fernverkehrskonzept“, jener sagenhaften „nie da gewesenen Ausweitung des Fernverkehrsangebots um 25 Prozent“, die am 18. März diesen Jahres durch Homburg verkündet wurde. Dieses Konzept ist, wie damals bereits Bahn für Alle kritisierte, weder materiell – durch neue Fahrzeugbestellungen, noch personell – durch eine klare Perspektive zur Ausweitung des Personals in den entsprechenden Bereichen, untersetzt. Gut möglich, dass es demnächst kassiert wird – erneut mit Hinweis auf „klamme Kassen“.

Der Wegfall der Subholding DB ML als zweite anstehende Maßnahme ist vordergründig zu begrüßen. Allerdings drängt sich hier sofort die Frage auf: Wie kann es sein, dass die Deutsche Bahn AG sich mehr als acht Jahre lang eine Parallelstruktur auf der obersten Konzern-Führungsebene – in Form von Deutsche Bahn AG und DB ML AG – leistete, die weit mehr als eine halbe Milliarde Euro an unnötigen Ausgaben verschlungen hat und wo der Bahnvorstand uns jetzt gesteht, mit ihrer Auflösung könne man allein bis 2020 mehr als eine halbe Milliarde Euro einsparen? Die Teilantwort lautet: Die Deutsche Bahn AG war – weit mehr als die vorausgegangene „Behördenbahn“ – von Anfang an ein politisches Projekt. Es ging bei ihr seit 1994 (unter dem Ex-Daimler-Manager Heinz Dürr), dann verstärkt seit 2001 (unter dem Ex-Daimler-Manager Hartmut Mehdorn) und nunmehr seit 2009 (unter dem Ex-Daimler-Manager Rüdiger Grube) immer im Kern um die Privatisierung öffentlichen Vermögens und im Kern auch um einen Abbau von Flächenbahn, was objektiv immer dem Flugverkehr, dem Pkw-Verkehr und seit zwei Jahren massiv dem flächenhaften Fernbusverkehr zugute kam. Dass Daimler zugleich der weltweit größte Bushersteller ist, mag man  mit einem Honi soit qui mal y pense quittieren.

Insbesondere die 2008 geschaffene DB ML war als Subholding die entscheidende  Plattform für eine Privatisierung der Bahn – auch und gerade nach dem im September 2008 abgesagten Börsengang. Und so sprach dann die Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 7. November 2009, kurz nach Grubes Antritt als neuer Bahnchef, bereits Klartext: „Der Zeitpunkt für eine Privatisierung [der Bahn] wird wieder kommen, gar keine Frage.“ Der damals neue Finanzvorstand Richard Lutz tat am 5. Februar 2011 in der Börsen-Zeitung kund: „Wir reden [bei der Bahnprivatisierung; W.W.] über maximal 25 Prozent an der Mobility Logistics AG, also an den Transportaktivitäten. […] Im September [2011] werden wir wieder vier Stationen mit Roadshows haben: in Tokio, in Peking, Hongkong und Singapur besuchen wir Staatsfonds und Pensionsfonds.“ Noch wenige Tage vor der Aufsichtsratssitzung, am 18. Juli 2015, hieß es in der Welt, mit dem geplanten Wegfall von DB ML seien  „nunmehr „alle Weichen so gestellt, dass Teile des DB-Konzerns in private Hände übergehen könnten.“

Das dritte Maßnahmebündel war und bleibt entscheidend. Tatsächlich wurde der in der Welt beschriebene spezifische Weg einer Teilprivatisierung im Herbst 2013 auf, wie man in –bayern sagt, hinterfotzige Weise in den gültigen Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Dort steht zwar: „Für die Schiene legen sich Union und SPD fest: Einen Börsengang der Bahn soll es nicht geben. Wir stehen zum integrierten Konzern DB AG. Die Eisenbahninfrastruktur […] bleibt in der Hand des Bundes.“ Doch dies heißt eben auch: Die „Transportaktivitäten“ können teilprivatisiert werden. Nun wurde auf der Aufsichtsratssitzung dieses Vorhaben nochmals auf Dezember 2015 verschoben. Doch explizit schreibt Grube am 27. Juli in einem Brief an die „lieben Mitarbeiterinnen und die lieben Mitarbeiter“, verfasst nach der Aufsichtsratssitzung, man halte sich „die Option einer Teilprivatisierung bei DB Schenker Logistics und DB Arriva offen“. Es gehe darum, „ein konkretisiertes Gesamtkonzept [zur Teilprivatisierung] bis Ende des Jahres“ zu erarbeiten.“  Zwar sei „der einstmals geplante Börsengang der DB ML vom Tisch, nicht aber  eine Teilprivatisierung, um frisches Geld von außen in das Unternehmen zu holen.“ Wichtig sei: „Wir reden von einer Teilprivativierung und der Hereinnahme von Minderheiten“.

Nun klingt ein konkret ins Auge gefasste Verkauf von jeweils 20 Prozent an den DB ML-Töchtern DB Schenker Logistics und an DB Arriva irgendwie harmlos. Da wird etwas „verkauft“. Und dann geht es auch noch Engagements im Ausland. Doch zunächst bedeutet ein solcher Anteilsverkauf vor allem den EINSTIEG privater Investoren. Diese werden Miteigentümer bei diesen Töchtern. Zum ersten Mal würden sich bei dem 1994 gegründeten Staatskonzern Deutsche Bahn AG private Anteilseigner engagieren. Sodann wird völlig übersehen, dass es die beiden genannten Töchter auf fast die Hälfte, genauer auf 48,8 Prozent des Gesamtumsatzes des Bahnkonzerns bringen. „Durchgerechnet“ bedeuten dann jedoch 20 Prozent Anteile privater Investoren an den beiden gewichtigen Töchtern, dass die privaten Investoren knapp 10 Prozent Anteil am Umsatz des Gesamtkonzerns haben. Wobei nunmehr ein Wegfall der Zwischenebene DB ML sich ins Gegenteil des Erwarteten verkehrt. Nunmehr wird hier eine Zwischenebene entfernt, womit die teilprivatisierten Töchter näher an die Muttergesellschaft DB AG heranrücken und der Einfluss der neuen Privaten auf die Holding wächst.

Und was sind die Gründe für diesen Verkauf? „Der Bahnchef hat Geldsorgen“, so heißt es in der Welt. Das ist nun in doppelter Weise verkürzt gesagt. Erstens weil sich besagter Bahnchef – die Rückgänge von Konzerngewinnen und Verkehrsanteilen sind hier schnurzpiepegal – vor einem Jahr eine satte Erhöhung  des persönlichen Jahreseinkommens um 24 Prozent (von 2.742.000 auf 3.396.000 Millionen Euro) genehmigen ließ. Zweitens weil die Bahn dann, wenn sie ernsthafte Geldsorgen hätte, ja schlicht das nicht bahn-affine Auslandsgeschäft verkaufen könnte. Sie würde bei einem Verkauf von Schenker Logistics (hier handelt es sich um die internationale Logistik, um Umsätze, die zu 95 % bahnfern sind; es geht hier nicht um Schenker Railion, den Schienengüterverkehr) und von DB Arriva (hier geht es überwiegend um das Geschäft mit Fernbuslinien außerhalb Deutschlands) zwischen fünf und zehn Milliarden Euro einnehmen. Ein solcher Direktverkauf würde soviel Cash in die angeblich klammen Bahnkassen spülen, dass damit ein großer Teil des Schienennetzes saniert werden könnte.

Apropos klamme Kassen: Die neun Streiks der GDL, die die DB AG provozierte und an deren Ende sie am 30. Juni 2015 einen neuen Tarifvertrag unterschrieb, wie sie ihn bereits im Juli 2014 hätte haben können, kostete die DB AG nach eigenen Angaben 300 bis 400 Millionen Euro. Und warum ließ sich der Bahnvorstand auf „sowas“ ein? Richtig: Die Deutsche Bahn AG ist ein politisches Projekt.

Vor allem wäre ein Verkauf von Töchtern nicht mit der Hinnahme von erheblichen Fremdeinflüssen verbunden. Private Investoren als Anteilseigner werden darauf drängen, dass die bislang extrem niedrigen Margen bei ihren Töchtern aufgebessert werden – indem der Gesamtgewinn wieder erhöht, sogenannte unrentable Angebote abgeschafft und Strecken stillgelegt werden. Eine Beteiligung Privater am Bahnkonzern wird vor allem einen politischen Druck in zweierlei Richtungen auslösen: Erstens wird dann die EU argumentieren, die Deutsche Bahn sei nun kein Staatskonzern mehr; der Umstand, dass in dieses Unternehmen Jahr für Jahr mehr als zehn Milliarden Euro staatliche Unterstützungsgelder fließen, sei als Wettbewerbsverzerrung zu werten. Womit diese für die Schiene existentiellen Gelder in Frage gestellt sind. Zweitens wird – daran logisch anschließend – die EU argumentieren, dass bei einem Wegfall der DB ML und einem Einstieg Privater bei den genannten Töchtern eine Beibehaltung einer integrierten Struktur mit Schienentransportunternehmen (Schienennah- und –fernverkehr und Schienengüterverkehr) und Infrastrukturunternehmen (vor allem Netz und Bahnhöfe) nicht in Einklang stünde mit EU-Recht. Dass somit der Konzern in die zwei Grundbestandteile getrennt  – genauer gesagt: zerschlagen  – werden müsse.

So fügt sich ein weiterer Mosaikstein zu den bereits zusammengefügten Mosaiksteinen. Wenige Stunden vor Beginn der DB AG-Aufsichtsratssitzung veröffentlichte die Monopolkomission der Bundesregierung das ein Sondergutachten mit dem Titel „Bahn2015: Wettbewerbspolitik aus der Spur?“ Darin forderte diese Kommission ungeschminkt eine „vollständige Trennung von Infrastruktur- und Transportsparten des integrierten Konzerns Deutsche Bahn AG“ – just also das, was die EU fordern wird, nachdem die beschriebene Maßnahme 2 umgesetzt und wenn beispielsweise Ende 2015 dann die skizzierte dritte Maßnahme, die Hereinnahme Privater bei den zwei strategisch wichtigen Töchtern erfolgt sein wird.

Veröffentlicht in der unabhängigen Wochenzeitung Kontext: http://www.kontextwochenzeitung.de/.

Dr. Winfried Wolf ist einer der Sprecher des Bündnisses Bahn für Alle, zusammen mit Bernhard Knierim Verfasser von „Bitte Umsteigen! 20 Jahre Bahnreform“ (Stuttgart 2014) und Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie.