Ausverkaufs-Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG
von Winfried Wolf
Und niemand hat was gemerkt! Am 24. März 2010 fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Hauptversammlung eines der größten deutschen Konzerne statt. Das Treffen hätte gut und gern in einer Telefonzelle stattfinden können. Es tagte der Bundesverkehrsminister, Herr Ramsauer, der 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern dieser Republik als Eigentümer der Deutschen Bahn AG vertrat. Herr Ramsauer leistete sich dabei immerhin die Gesellschaft eines Notars. Wenige Minuten nach Eröffnung der Hauptversammlung tat Herr Ramsauer das kund, was eine Woche zuvor bereits den Medien zu entnehmen war: Die Bahn hat einen neuen Aufsichtsrat. Das nennt man gelebte Demokratie.
Bereits das Tagen einer Hauptversammlung eines öffentlichen Unternehmens unter Ausschluss der Öffentlichkeit muss aus demokratischer Sicht als eklatanter Regelverstoß gewertet werden. Warum wird über den Aufsichtsrat der Bahn nicht im Bundestag debattiert? Vor allem jedoch muss die Zusammensetzung des Aufsichtsrats als skandalöse Verletzung öffentlicher Interessen gewertet werden. Drei Aspekte kennzeichnen den Bahn-Aufsichtsrat.
Erstens: Von den 10 Mandaten, die der Kapitalseite im Aufsichtsrat zustehen, entfallen nur vier Mandate auf Personen, die – so auch die offizielle Leserart – als ″Vertreter des Bundes″ gelten. Auf 60 Prozent der Mandate wird schlicht verzichtet. Selbst unter den vier Bundesvertretern gibt es mit Klaus-Dieter Scheurle einen Bahn-Aufsichtsrat, der aufgrund seiner vorausgegangenen Top-Manager-Tätigkeit für die schweizerische Großbank Credit Suisse mit höchst spezifischen privatkapitalistischen Interessen in Verbindung gebracht werden kann. Credit Suisse hatte sich 2007/2008 bei der damals beabsichtigten Bahn-Privatisierung engagiert.
Zweitens: Sechs Aufsichtsratsmandate wurden an Lobbyisten spezifischer Unternehmen vergeben. Wenn ein gewisser Christoph Dänzer-Vanotti – alter und neuer – Aufsichtsrat der DB AG ist, dann hat man einen ganz anderen Blick auf das Projekt des neuen Kohlekraftwerks, das der Stromriese E.on in Datteln bauen will. Herr Dänzer-Vanotti ist Mitglied im E.on-Vorstand; die Kohlendioxid-Schleuder in Datteln soll, abgesichert über langfristige Lieferverträge, Bahnstrom liefern. Oder nehmen wir das – ebenfalls neue und alte – Aufsichtsratsmitglied Heinrich Weiss: Der Mann ist nicht nur Geschäftsführer eines großen Maschinenbaukonzerns. Er ist auch Mitglied im Verwaltungsrat von Bombardier, dem weltweit größten Bahntechnikherstellers. Dabei hat der Verwaltungsrat einer kanadischen (oder US-amerikanischen) Aktiengesellschaft– anders als der Aufsichtsrat in einer deutschen AG – operative Aufgaben; es handelt sich um die Unternehmensführung.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Privatindustriellen-Sextett dem Bahn-Aufsichtsrat Jürgen Großmann zu. Es handelt sich um den Top-Mann des Stromriesen RWE, aktuell einer der führenden Lobbyisten zur Durchsetzung verlängerter AKW-Laufzeiten. Großmann ist auch Mitglied im VW-Aufsichtsrat, wo er – auf Basis des VW-Gesetzes – zur einflussreichen niedersächsischen Aufsichtsrats-Gruppe um den niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulf gehört. Großmann ist zugleich Alleineigentümer der Georgsmarienhütte Holding. Zur GM-Hütte zählen wichtige Bahnzulieferer – u. a. zwei Hersteller von Rädern und Radsatzwellen (Achsen) für Schienenfahrzeuge, Unternehmen, die Schienenfahrzeuge zulassen dürfen, solche, die Wartungsarbeiten an Schienenfahrzeugen durchführen oder selbst Ultraschall-Prüfanlagen herstellen. Die gesamte Konstruktion Großmann-Bahn-RWE-VW-GM-Hütte könnte man ironisch als ″Kreislaufwirtschaft″ bezeichnen.
Schließlich und drittens gibt es den neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht. Der AR-Vorsitzende ist in paritätisch besetzten Aufsichtsräten – wie im Fall der Bahn – der entscheidende Mann, da er in strittigen Fällen über zwei Stimmen verfügt. Felcht erklärt frank und frei, von Bahn keine Ahnung zu haben (sich jedoch im Besitz einer Modelleisenbahn zu befinden). Im Hauptjob ist Felcht Managing Director der Private Equity Gesellschaft One Equity Partners (OEP), einer Tochter von JP Morgan, der zweitgrößten US-Bank. OEP kontrolliert Dutzende große Firmen. Darunter befinden sich mit Pfleiderer ein großer Autozulieferer und Unternehmen aus dem Bereich des Geschäftsreisemanagements (wie Carlson Wagonlit Travel). Darüber hinaus ist Felcht Aufsichtsrat bei einem der größten Baustoffhersteller der Welt, der irischen CRH. Die Geschäftsbereiche Autozulieferung, Geschäftsreisen und Baustoffherstellung sind mit Interessen verbunden, die oft denen der Deutschen Bahn AG entgegenstehen.
JP Morgan war bei früheren Großdeals der Bahn aktiv – so 2002 als Berater der DB bei der Übernahme von Stinnes mit Schenker. Bundesverkehrsminister Ramsauer betonte, Felcht sei „ein exzellenter Kenner des Börsengeschehens“, was in Hinblick auf den nach wie vor „politisch gewünschten Börsengang mittel- und langfristig wichtig“ sei (SZ 11.3.2010).