Wenn die Bahn für alle da sein soll, muss die Zerschlagung verhindert werden
In der Frage, ob bei der Bahn Netz und Betrieb getrennt werden, ist die Ampelkoalition gespalten. Bahn für Alle warnt eindringlich vor einer solchen Trennung, denn sie würde nicht nur gravierende Synergieverluste bewirken. Auch die Verkehrsgesellschaften der Deutschen Bahn AG (DB AG) wären plötzlich wieder privatisierungsgefährdet.
von Carl Waßmuth
DB Netz und DB Station&Service sollen laut Koalitionsvertrag zu einer neuen Infrastruktursparte zusammengelegt werden. Diese Sparte soll im Unterschied zur Rest-DB:
- zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn AG bleiben,
- gemeinwohlorientiert ausgestaltet werden,
- ihre Gewinne zur Reinvestition behalten dürfen und
- erhöhte Investitionsmittel vom Bund erhalten.
Man sieht, dass diese Versprechen für den Fernverkehr, für die zahlreichen Nahverkehrstöchter, für den Güterverkehr und auch für die DB Energie (obwohl Teil der Infrastruktur) nicht gegeben werden. Mit anderen Worten: Dort
- darf das 100-prozentige Eigentum aufgegeben werden,
- dürfen also Betriebsteile verkauft werden,
- wird es weiterhin keine Gemeinwohlorientierung geben,
- werden Gewinne transferiert,
- wird eine Förderung der Wagenbeschaffung und des Fernverkehrs durch den Bund ausgeschlossen bleiben.
Verschärfend heißt es zudem: „Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.“ Für diese Variante sprechen sich der Fahrgastverband Pro Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL aus. Das entstehende System würde damit weitgehend der neoliberalen Organisation des Bahnverkehrs in Großbritannien entsprechen, wie sie nach der Bildung von Network Rail als Infrastrukturgesellschaft entstanden ist. Die britische Bahnstruktur ist stark von verschiedenen Privatisierungsformen geprägt, und sie ist erwiesenermaßen besonders teuer und ineffizient – auch nach der erzwungenen Wiederverstaatlichung des Netzes 2002, siehe zum Beispiel den „Williams Rail Review“. Vor wenigen Tagen hat sich nun die Oppositionsfraktion CDU/CSU im Bundestag auch für die Trennung ausgesprochen, nur soll ihrer Vorstellung nach auch die DB Energie mit abgespalten werden. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lässt bereits die Zerschlagung vorbereiten, McKinsey und zwei weitere Beratungsfirmen sind dazu aktiv, zum 1. Januar 2024 soll die neue Sparte unter dem Namen „InfraGO“ starten. Ob es wirklich zu einer Aufspaltung kommt, entscheidet nun die SPD Im Koalitionsvertrag steht nämlich, dass die DB als integrierter Konzern erhalten werden soll. Der Erhalt der integrierten Bahn ist zudem ein langjähriges Versprechen der SPD, besonders an die Gewerkschaft EVG. Die Infrastruktur herauszulösen, ist unvereinbar mit dem Ziel, die integrierte Bahn zu erhalten. Der aktuelle politische Konflikt dreht sich also um die Frage, welcher Passus des mehrdeutigen Koalitionsvertrags letztlich umgesetzt wird: Das Versprechen der SPD zum Erhalt der integrierten Bahn oder die Forderung nach Trennung, wie sie FDP und Grüne und jetzt auch CDU/CSU erheben. Die Abtrennung der Infrastruktur ist regelmäßig die Voraussetzung für Liberalisierungen und Privatisierungen. Trennt man gedanklich (und später auch organisatorisch) den Betrieb der Züge vom Betrieb des Netzes, so wird nach neoliberaler Ideologie angenommen, dass nun verschiedene Zugbetreiber zueinander in Wettbewerb treten könnten. Synergieverluste werden dabei regelmäßig negiert, tatsächlich sind sie jedoch entscheidend. Darüber hinaus liegt auch auf theoretischer Ebene ein fundamentaler Fehlschluss vor: Bei der Bahn können Kunden nicht uneingeschränkt zwischen verschiedenen Anbietern entscheiden, da zu einer bestimmten Zeit nur der Zug eines Anbieters fahren kann. Durch Ausschreibungen im Bahnverkehr entstehen räumliche und zeitliche Monopole von sieben bis fünfzehn Jahren: In der betroffenen Region sind die Fahrgäste für ein Jahrzehnt oder länger dem jeweiligen Bieter ausgeliefert. Fallen die Züge regelmäßig aus oder verspäten sich im Berufsverkehr um Stunden, kann man nicht einfach zum Pendeln zur Arbeit andere Züge nehmen. Es bleibt nur das Auto oder der Umzug in eine andere Region. Verteidigt wird dieser unvollkommene Wettbewerb mit dem Argument, es entstünde zwar kein Wettbewerb im Markt, dafür aber „um den Markt“. Anstelle der Fahrgäste wird die öffentliche Hand als Kunde definiert. Der Wettbewerb wird dabei maßgeblich über den Preis ausgetragen, Einsparmöglichkeiten liegen vor allem beim Personal und beim Material. Private Anbieter versprechen also, auf einer bestimmten Strecke zum Beispiel 15 Jahre lang die Zugverbindungen zu gewährleisten und dafür nur wenig Geld vom jeweiligen Bundesland zu beanspruchen. Sobald sie den Zuschlag erhalten haben, kaufen diese Anbieter Loks und Wagen und stellen Lokführer und Zugbegleiter ein. Weil sie aber nur wenig Geld bekommen und zudem noch eine Rendite an ihre Eigentümer abführen, werden nur Dumpinglöhne gezahlt und wird beim Einkauf und bei der Wartung der Züge gespart, wo es nur geht. Die Folge sind Zugausfälle, weil Lokführer wieder gekündigt haben oder die Loks schlicht kaputt sind. Qualitätskriterien können zwar vertraglich vereinbart werden, allerdings ist ihre Überprüfung und Sanktionierung kaum möglich. Hohe Strafzahlungen stoßen zum Beispiel an ihre Grenzen, wenn dem Betreiber die Insolvenz droht. Im Bereich der Daseinsvorsorge ist die Vorstellung der öffentlichen Hand als „Kunde“ schlicht absurd. Sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit der Steuerung bedürfen wesentlich besserer Instrumente als Ausschreibungen im Abstand von Jahrzehnten sowie die Vergabe an Firmen, die pleitegehen können. All diese Befürchtungen sind im Übrigen nicht nur theoretische Überlegungen, sondern im über Ausschreibungen organisierten Nahverkehr der Regelfall. In der beginnenden Auseinandersetzung um die künftige Organisation der Bahn in Deutschland geht es um viel, denn wir brauchen die Bahn als klimafreundlichen Verkehrsträger der Zukunft. Der Konflikt verdeckt dabei die eigentlich maßgebende Frage, wie die Bahn im Sinne des Klimaschutzes künftig gesteuert werden soll. Um den Anteil vom Bahnverkehr wesentlich zu steigern und eine Abkehr vom schädlichen Auto-, Lkw- und Flugverkehr zu erreichen, bedarf es weitreichender Planung und einer ausreichenden Finanzierung. Verkehrsminister Wissing hat leider bereits andere Prioritäten gesetzt: Autobahnen ausbauen und derweil den Deutschlandtakt auf der Schiene auf 2070 verschieben. 2070 ist für eine Reduktion der Erderhitzung aber um Jahrzehnte zu spät; wir brauchen jetzt so schnell wie möglich eine funktionierende, attraktive Bahn – nach Schweizer Vorbild in öffentlicher Hand und mit gemeinwirtschaftlichen Zielen. Es ist unverständlich, dass die DB AG agiert, als würden die Bahn und der Schienenverkehr dem Management gehören. Die Allgemeinheit benötigt und bezahlt die Bahn. Daher fordern wir: Die ganze Bahn muss gemeinnützig sein: In der Satzung der Bahn müssen dezidierte Gemeinwohlziele festgehalten werden, an die die Unternehmensführung gebunden ist. Überschüsse sind wieder zu investieren. Die Vorgaben für den Ausbau der Bahn bestimmt und kontrolliert das Parlament. Der Beitrag erschien zuerst am 20. April 2023 auf den Nachdenkseiten. Zum Weiterlesen:
- Vierseitige Sonderzeitung „Endlich gemeinnützig. So macht Bahnfahren Spaß“ (Juni 2023) jetzt kostenlos zum Lesen (Download) und auch zum Verteilen in größerer Stückzahl bestellen unter info@bahn-fuer-alle.de
- Kurzstudie: “Die Bahn in Deutschland: Trennung von Netz und Betrieb zu Lasten von Klima, Fahrgästen und Beschäftigten?” (Juni 2022)
Unterschriftensammlung:
Die ganze Deutsche Bahn AG muss gemeinnützig sein
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